Das Leuchten der Insel
auch wenn es der Arzt nicht war –, und sie wollte nicht in Seattle bleiben und hier die Hausfrau mit dem makellosen Wohnzimmer und dem perfekten Garten spielen oder für die Kinder ihrer Schwestern die liebe Tante sein. Sie konnte ebenso gut etwas zu tun finden und es mit Bill gemeinsam tun.
Als sie die Bücher über Landwirtschaft und die Broschüren über Hühnerhaltung las, kam sie zu dem Schluss, dass es eine Lösung sein mochte, sich in harter, körperlicher Arbeit zu vergraben. Sounder sei der ideale Ort, sagte sie zu Bill, und sie meinte es so. Er war hocherfreut über ihre Begeisterung und voller Demut und Dankbarkeit, dass sie ihm vergeben hatte und bereit war, diesen Schritt mit ihm zu tun.
Aber nachdem sie angekommen waren, spürte Betty die Wut, die sich wie eine Infektion in ihr ausbreitete und von ihrem Innersten in ihre Glieder, ihr Gesicht, ihre Augen sickerte. Sie schnürte ihr die Kehle zu, und ihre Zunge schwoll an von den Worten, die sie sagen wollte, aber nicht aussprach.
Sounder war nicht das Problem. Die Farm und die Insel und die Leute gefielen ihr besser, als sie es sich vorgestellt hatte. Die Nachbarn packten mit an, um ihnen beim Pflügen und Pflanzen und beim Bauen des Hühnerhauses zu helfen, und sie selbst wurden ständig zur Teilnahme an irgendwelchen Aktionen eingeladen – zu einer Putzaktion im Schulhaus, um dort Fenster zu reinigen und Wände zu streichen, einer Cider-Aktion bei den Cummings, um Äpfel zu pflücken und zu entsaften, einer Arbeitsaktion auf ein paar anderen Farmen, um Spiersträucher, Besenginster und wilde Stachelbeeren auszureißen.
Auch das kleine Cottage war schön und gefiel Betty viel besser als das nette, aber ein wenig zu üppig dekorierte Haus ihrer Schwester in Seattle. Sicher, die Toilette lag fast hundert Meter vom Haus entfernt hinter einer gewaltig aufragenden Zeder, und der Boden war so stark geneigt, dass eine am Vordereingang fallen gelassene Murmel schnurstracks bis zur Hintertür rollte, und die Vorhänge passten nicht zur Couch. Aber der große schmiedeeiserne Herd wärmte den gesamten Wohnbereich, und die alten grünen Schaukelstühle auf der Veranda waren die bequemsten Sitzgelegenheiten, in denen sie je gesessen hatte. Zudem drang die sie umgebende Stille in ihr tiefstes Inneres vor und beruhigte sie.
Bill war ihr gegenüber aufmerksam, rücksichtsvoll und fürsorglich, aber auf der Hut. Sie versuchte, ihren Ärger nicht zu zeigen – schließlich hatte er sich wieder und wieder entschuldigt, und welchen Sinn hatte es, auf dem Ganzen herumzureiten und alles zu zerreden? Aber sie wusste, dass man es merkte: an ihren Lippen, dem Ton ihrer Stimme, der Angespanntheit ihres Körpers bei seinen Berührungen, dem hackenden Geräusch ihres Messers auf dem Schneidebrett und der Art, wie sie seinem Blick auswich. Sie sprachen nicht darüber, aber es quoll zwischen ihnen auf wie der Dampf einer Lokomotive und wurde dichter und dichter.
Zu ihrer Überraschung reagierte Bill auf ihre Wut keineswegs mit frustriertem Ärger oder mit einer Armesündermiene, die sie belastet und ihr das Gefühl vermittelt hätte, sie sei diejenige, die etwas falsch gemacht hatte. Stattdessen stand er im Morgengrauen auf, machte Feuer im Herd, kochte einen Topf Kaffee, ging hinaus – ins Hühnerhaus, um die Eier einzusammeln, die Hühner mit Futter und Wasser zu versorgen, um den Stall auszumisten und die Ziegen zu melken – all das vor dem Frühstück. Wenn er dann wieder reinkam, hatte sie oft schon Speck gebraten und Pfannkuchen zubereitet, die sie mit Alice MacDonalds selbst geimkertem Honig aßen. Dann gingen sie gemeinsam nach draußen, um auf den Feldern, die sie im Frühjahr nach ihrem Einzug bepflanzt hatten, Unkraut zu jäten, Stroh auszustreuen oder zu ernten.
Innerhalb eines Monats konnte Betty absehen, dass sie im ersten Jahr noch nicht einmal annähernd ihre Kosten hereinbekommen würden – kein Wunder angesichts der Summen, die sie in den Kauf der Farm und den Bau des Hühnerhauses gesteckt hatten, von den Kosten für die Anschaffung und Haltung der Hühner gar nicht zu reden. Wenn ihnen die anderen Inselbewohner nicht bei der Bepflanzung geholfen hätten, wären ihre Kosten sogar noch höher gewesen. »Wir geben dem Ganzen zwei Jahre«, hatte Bill gesagt, als sie beschlossen, nach Sounder zu ziehen, und Betty zweifelte, dass sie bis dahin ihre Kosten eingespielt haben würden. Aber zu ihrer eigenen Überraschung empfand sie wegen der Finanzen oder
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