Das Leuchten der Insel
bezüglich der Zukunft keine Sorge. Ihr Mann hatte sie betrogen, sie hatte zwei Mal ihre Babys verloren – was konnte ihr da noch Schlimmeres passieren?
Und dann, nach fünf oder sechs Monaten, begann ihre Wut zu schwinden. Dabei redete oder handelte Bill nicht anders als zuvor. Sie hatte auch keine plötzliche neue Einsicht durch die weisen Worte einer Freundin. Aber wenn sie morgens neben Bill aufwachte, lag sie meist ein paar Minuten da und lauschte seinem Atem und der unermesslichen Stille von Sounder und empfand ein Gefühl der Zufriedenheit. Sie war von all dem Pflanzen, Graben, Holzhacken, Schrubben und Heben körperlich stärker, als sie es je in ihrem Leben gewesen war, und ihr gefiel die Art, wie ihr Körper aussah und sich bewegte. Sie musste hier nicht vorgeben, an Mode, am Dekorieren oder an Unterhaltung interessiert zu sein, wozu sie sich zu Hause oft verpflichtet gefühlt hatte. Bill arbeitete härter, als sie es je bei ihm erlebt hatte, und sie glaubte, eine Veränderung in ihm zu spüren, hin zu etwas Stabilem, Wahrhaftigem und Dauerhaftem.
Morgens im Bett drückte sie sich an Bills warmen Rücken und wunderte sich, wie weit sie gekommen waren und was sie in ihren vier Ehejahren schon alles durchgemacht hatten. Sie hatte das Gefühl, hier ein nützliches Leben für sich selbst entstehen zu sehen, selbst ohne eigene Kinder. Und es war endlich ein Leben, das sie genoss.
10. Kapitel
Susannah 2011
S usannah sehnte sich nach einer Tasse Kaffee. Bei Morgengrauen war sie in ihre Wollpantoffeln geschlüpft, hatte sich nach draußen gewagt und war durch das raureifüberzogene Gras marschiert, um sich hinter dem Haus neben einem Baum hinzuhocken, wo sie sich prompt die Pantoffeln vollpinkelte. Sie rannte barfuß durch das kalte Gras, und als sie ins Haus kam, war das Feuer im Herd erloschen, sodass sie neues Holz auflegen und zum Brennen bringen musste. Jetzt gaben ihre Hausschuhe, die sie zum Trocknen unter den Ofen geschoben hatten, einen eindeutigen Geruch ab, und das Wasser im Kessel kochte noch immer nicht. Sie drehte die Handkurbel der Kaffeemühle und seufzte.
»Ich will nicht zur Schule gehen«, sagte Quinn.
Er setzte sich auf einen Stuhl am runden Eichenesstisch und starrte das Glas mit Orangensaft an, das sie ihm hinstellte.
»Es ist normal, ein wenig nervös zu sein«, beruhigte ihn Susannah.
»Was ist, wenn ich mich übergeben muss?«, wollte er wissen.
»Dann kannst du nach draußen rennen«, erwiderte sie. »Jim hat gesagt, dass die Schule Klohäuschen hat, eines für Jungs, eines für Mädchen.« Sie nahm ein dickes blaues Geschirrhandtuch und wickelte es um den Griff des Kessels, der endlich zu pfeifen begonnen hatte. »Aber du wirst dich nicht übergeben müssen.«
»Wirklich?«, fragte Quinn. »Die Schule hat keine Toiletten im Haus?«
»Nein«, bestätigte Susannah, goss das heiße Wasser in die Presskanne und stellte den Kessel zurück auf den Herd.
Quinn dachte über das Gesagte nach. »Also kann ich einfach nach draußen gehen, wenn ich will?«
»Nun, ich nehme an, dass du Jim vorher Bescheid sagen musst, wenn du gehst. Aber bei nur fünfzehn Schülern wird das vermutlich kein Problem sein.«
Quinn wirkte fröhlicher: »Also kann man rausgehen, wenn einem schlecht ist. Außerdem gibt es keinen Bus und keine Bushaltestelle. Ich glaube, dass es mir hier gefallen könnte.«
»Du bist nicht gern mit dem Bus gefahren?«, fragte Susannah.
Quinn nahm sein Glas, trank einen Schluck Saft und stellte es wieder hin. »Nicht sonderlich.«
Etwas an seiner Stimme ließ sie aufmerksam werden. »Warum nicht?«
Zu ihrer Verwunderung lief Quinn vor Wut rot an und erwiderte: »Ich mochte es einfach nicht. Ich will nicht drüber sprechen.«
Katie kam herein und setzte sich auf das Sofa im Wohnzimmer. Sie trug eine Jeans und ein hautenges Tanktop.
»Das soll’n Witz sein, dass die Schultoiletten draußen sind, oder?«, fragte sie.
Susannah schüttelte den Kopf: »Nein. Und das Hemd ist zu eng und zu tief ausgeschnitten, um es in der Schule zu tragen. Zieh was anderes an. Willst du Rührei?«
»Toilettenhäuschen? O mein Gott.« Katie warf ihren Kopf auf die Rückenlehne der Couch und schloss die Augen. »Ich werde dir das nie verzeihen«, sagte sie mit dem Gesicht zur Decke. »Du weißt ja gar nicht, was du damit angerichtet hast, uns hierherzubringen.«
Ohne Schlaf, ohne Kaffee und ohne Schuhe verspürte Susannah ein vertrautes Schuldgefühl. »Sieh, was du getan hast«, sagte die
Weitere Kostenlose Bücher