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Das Leuchten der Insel

Das Leuchten der Insel

Titel: Das Leuchten der Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen McCleary
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ist es schwer, einen Weg zu finden, damit zu leben. Ich wollte nicht, dass mich irgendwer bemitleidete oder mir die Schuld gab.«
    »Was ist geschehen?«, fragte Susannah mit plötzlicher Neugier.
    »Was halt so passiert. Ich habe mich danach noch lange mit einer Menge ›Was-wenn–Fragen‹ gequält«, erwiderte Betty. »Aber man hat die Wahl: Man lässt sich entweder davon auffressen, oder man befreit sich davon.«
    »Wenn es doch bloß so einfach wäre«, dachte Susannah und fühlte sich versucht, Betty alles über den Tag mit dem strahlend blauen Himmel und Janie und ihrer orangefarbenen Schwimmweste zu erzählen. Vielleicht würde sie es verstehen. Oder sie würde ihr künftig genauso aus dem Weg gehen, wie es ihre Mutter und ihr Vater getan hatten. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass sie ihr Dad nach jenem Tag je wieder angesehen hätte – wirklich angesehen.
    »Es ist merkwürdig. Ich denke noch immer fast jeden Tag an Bill, obwohl er seit dreiundvierzig Jahren tot ist.«
    Susannah sah zur Sonne hoch, deren Strahlen auf die goldgelben Blätter über ihr fielen. »Ich weiß. Ich denke auch jeden Tag an meine Schwester, und sie war erst drei; das lässt sich nicht mit dem Verlust eines Menschen vergleichen, mit dem man viele Jahre verheiratet war.«
    »Ich bin mir da nicht sicher. Wenn jemand stirbt, trauert man all den verlorenen Möglichkeiten hinterher, ob derjenige nun drei oder dreiundsechzig war; glauben Sie nicht?«
    »Janie wäre in diesem Sommer sechsunddreißig geworden«, nickte Susannah. Irgendwie war es leichter, hier oben im Baum darüber zu sprechen, wo sie Betty nicht ansehen musste. »Ich denke immer wieder, dass sie verheiratet wäre und selbst Kinder hätte und dass sich ihre Kinder möglicherweise mit Katie und Quinn angefreundet und vielleicht sogar ähnlich wie sie ausgesehen hätten. Janie hatte ebenfalls braune Augen und welliges braunes Haar, so wie ich. Sie war zehn Jahre jünger, also wären wir vielleicht nicht die besten Freundinnen geworden; aber ich wette, dass wir uns nahegestanden hätten.«
    Im Gegensatz zu Susannah war Janie furchtlos gewesen. Einmal hatte ihr Vater, betrunken und wütend, Susannah und Jon gezwungen, sich an die Wand zu stellen, während er in seinem großen Ledersessel saß und sie anschrie. Susannah konnte sich nicht mal mehr daran erinnern, was sie falsch gemacht haben sollten. Ohne Vorankündigung! Mit einem Mal war Janie zu ihm hinübergestapft, hatte ihre kleine Hand auf seinen Mund gelegt und gesagt: »Nicht schreien! Du hörst auf damit.« Er war so überrascht gewesen, dass er sofort den Mund gehalten, und dann zu lachen begonnen hatte. Noch nie zuvor war so etwas in ihrem Haus geschehen. Niemand – weder Jon noch Susannah noch ihre Mutter – hatte ihrem Vater je Widerworte gegeben. Aber Janie, die damals gerade mal zweieinhalb Jahre alt gewesen war – Janie hatte das getan.
    »Ich habe zwei Schwestern«, erzählte Betty. »Bobbie, die mir altersmäßig am nächsten steht, ist meine beste Freundin. Meine Schwester Mel – Mary Ellen – und ich hatten nie dieselbe Wellenlänge. Man weiß nicht, wie Ihre Schwester gewesen wäre.« Sie hielt kurz inne, bevor sie fortfuhr. »Es ist schon schwer zu sagen, wie es mit Bill geworden wäre. Er war stets ruhelos. Manchmal denke ich, dass er mit den Jahren sesshaft geworden wäre. Vielleicht wäre er glücklich gewesen, hierzubleiben und mit den Enkeln eine zweite Chance der Elternschaft zu bekommen. Wer weiß?«
    »Ich verstehe gut, was Sie mit ›Chance‹ meinen«, erklärte Susannah. Der Tod ihres Vaters mit achtundfünfzig Jahren hatte für immer die Tür zu Dingen zugeschlagen, nach denen sich Susannah gesehnt hatte – Verständnis, Vergebung, Zustimmung. Paff. Vorbei. Keine Chance mehr.
    »Das ist es, was wir bei jedem Tod betrauern«, nickte Betty. »Selbst wenn es nur die Möglichkeit ist, jemanden ein letztes Mal zu sehen. Wie auch immer, genug der Philosophiererei.« Sie lehnte sich vor und sah zu Susannah hoch. »Schaffen Sie es runterzukommen?«
    »Ich glaube schon.«
    »Das ist gut. Ich bin mir nämlich nicht sicher, dass ich aufstehen kann. Meine Hüfte macht mir Probleme, woran ich hätte denken sollen, bevor ich mich auf den kalten Boden gesetzt habe und sie steif werden ließ.«
    Susannah drehte sich um, umarmte den Stamm des Baumes, und es gelang ihr, herunterzuklettern. Sie half Betty aufzustehen, und gemeinsam gingen sie zum Cottage zurück. Betty warf ihr aus den Augenwinkeln

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