Das Leuchten der Insel
eingeschlafen war.
14. Kapitel
Susannah 2011
S usannah blickte von dem Pizzateig hoch, den sie gerade knetete, und sah Jim, der die Hintertür des weißen Cottages öffnete. Er trug seine Lehrerkleidung: ein Hemd mit Krawatte unter einem warmen Pullover, einen wasserdichten Parka und eine Hose aus dickem Cord, deren rechtes Bein in die Socke gestopft war. Den holprigen, durch den Wald führenden Weg von und zur Schule legte er mit einem Mountainbike zurück, was die Sache mit dem Hosenbein erklärte. In der Hand hielt er seinen Rucksack.
»Ich möchte Sie um einen Gefallen bitten«, sagte er.
»Gern doch«, erwiderte Susannah.
»In der kommenden Woche ist Pizza&Poetry-Tag. Ich habe das bereits erwähnt, oder?« Er zog ein dickes Buch aus dem Rucksack und legte es auf die Theke. Susannah nickte. »Fein. Ich will dieses Jahr ein paar Plakate aufhängen – Porträts berühmter Dichter mit ein paar Zeilen aus ihren bekanntesten Gedichten. Ich habe von Ihren künstlerischen Fähigkeiten gehört, und da wollte ich fragen, ob Sie bereit wären, die Plakate für mich anzufertigen.«
Susannah wischte sich die mehligen Hände an der Schürze ab und sah ihn erstaunt an: »Ich bin Schaufensterdekorateurin.«
»Ich weiß. Aber ich habe gehört, dass Sie auch eine hervorragende Künstlerin sind.«
Susannah zuckte die Schultern. »Ich habe ab und zu ein wenig gemalt.« Sie dachte an die leuchtenden Farben der Landschaft, die sie während jener wunderbaren Anfangsjahre ihrer Ehe geschaffen hatte, und an das Wandgemälde in Katies Babyzimmer, das kreisförmige Blumen, tanzende Bäume und wirbelnde Wasser in Hülle und Fülle zeigte, dazu eine prachtvoll strahlende Sonne. Den Blumen hatte sie winzige Gesichter gegeben, und in den gewundenen Blättern versteckten sich freundliche Tiere. »Es ist Jahre her, dass ich das gemacht habe«, fügte sie hinzu. »Nach Katies Geburt hatte ich keine rechte Zeit mehr dafür, und als dann Quinn hinzukam … Wie auch immer, Quinn hätte Ihnen das nicht erzählen sollen …«
»Es war nicht Quinn. Es war Katie.«
»Katie?«
»Sie hat sich sogar richtig anerkennend geäußert und erzählt, dass Sie ihr Zimmer bemalt haben, als sie ein Baby war, und dass Sie Geschichten über eine Elfenfamilie für sie gemalt haben, als sie klein war.«
»Das habe ich. Ich habe schon seit Jahren nicht mehr daran gedacht.«
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, die Plakate anzufertigen? Bloß ein paar einfache Federzeichnungen. Widmen Sie dem ein oder zwei Stunden, und wenn es zu viel Arbeit wird, dann lassen Sie’s.«
»Ich werde es versuchen. Aber es ist lange her.«
»Das ist okay.« Jim machte eine Kopfbewegung zum Buch hin. »Überraschen Sie mich. Malen Sie ein paar Gedichte. Sie können jedes Gedicht aus dem Buch auswählen. Ich habe ein paar Favoriten mit Zetteln markiert, aber die Entscheidung liegt bei Ihnen.« Er griff in seinen Rucksack und zog eine Papiertüte heraus. »Ich habe Ihnen auch Malmaterial aus der Schule mitgebracht.«
Sie lächelt: »Gut, ich versuche es.«
»Danke. Könnten Sie es bis Montag machen?«
»Sicher.« Sie bemerkte, dass sie zum ersten Mal seit Jahren zugestimmt hatte, etwas zu tun, ohne zuvor in ihren Terminkalender zu sehen. Wenn sie es recht überlegte, hatte sie hier noch nicht einmal einen Terminkalender.
»Toll.« Jim warf den Rucksack über seine Schulter. »Ich lerne Ihre Katie immer besser kennen. Sie ist ein interessantes Kind. Eine fantastische Autorin.«
»Wirklich? Glauben Sie?«
»Ja. Hat sie Ihnen den Aufsatz gezeigt, den sie vergangene Woche über Steinbecks Die Reise mit Charley geschrieben hat? Er war sagenhaft.«
»Nein. Sie hat mir noch nicht einmal davon erzählt.«
»Das habe ich mir schon gedacht. Kinder in diesem Alter wollen nicht, dass man alles über sie weiß, zumindest, wenn es sich um ihre Eltern handelt. Bitten Sie sie irgendwann einmal, ihn Ihnen zu zeigen.«
»Das werde ich. Danke, dass Sie’s mich haben wissen lassen.«
Er verharrte noch kurz, eine Hand auf der Theke. »Da ist noch etwas. Grundsätzlich behalte ich für mich, was ich in der Schule erfahre. Wenn die Kinder mir so weit vertrauen, dass sie mir etwas sagen, will ich dieses Vertrauen nicht missbrauchen.«
Susannahs Herz begann in ihrer Brust zu klopfen wie ein wild gewordenes Kaninchen.
»Sehen Sie mich nicht so an«, meinte Jim. »Es ist nichts Schlimmes. Sie haben mir von ein paar der Probleme erzählt, die sie zu Hause hatte, wie durch das Verfassen der
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