Das Leuchten der Insel
Zeitungsgeschichte über dieses Mädchen.«
Susannah seufzte: »Ja.«
»Das Mädchen, über das sie geschrieben hat, scheint recht bösartig zu sein. Katie erzählte mir, dass sie einen schüchternen Jungen eingeladen und dazu verführt habe, sie zu küssen, während eine Freundin die ganze Sache heimlich auf Video aufnahm. Anschließend habe sie das Video ins Netz gestellt und sich darüber lustig gemacht. Der Junge war am Boden zerstört. Katie sagt, er habe die Schule verlassen.«
»Unglaublich.« Katie hatte jedes Gespräch über die Zeitungsgeschichte verweigert.
»Dasselbe Mädchen hat laut Quinn auch andere Kinder drangsaliert. Ich habe ihn danach gefragt. Katies Zeitungsgeschichte scheint mir einfach ein Racheakt gewesen zu sein. Offenbar erträgt sie keine Ungerechtigkeiten.«
Wie Matt. Susannah hatte plötzlich das Bild des dicken, mondgesichtigen zehnjährigen Davey Godwin mit seiner schwarz eingefassten Brille und seinem gestreiften T-Shirt vor sich. Matt – schlank, stark und der beste Sportler im Camp – hatte Davey stets als Ersten ausgewählt, wenn er als Mannschaftskapitän ein Team zusammenstellte, ob es nun um Kickball, Baseball oder um das Geländespiel Capture the Flag ging. Er brachte Davey die Feinheiten des Base-Laufens bei und verbesserte seine Schlagbewegung, damit er nicht so viele harmlose Popups fabrizierte. Davey vergötterte ihn. »Warum wählst du ihn immer als Ersten aus?«, hatte Susannah ihn gefragt. Schließlich hätte Matt warten und Davey noch als Zweiten, Dritten oder Vorletzten nehmen können. »Weil es sonst nicht fair ist«, hatte Matt erwidert. »Jeder hat es verdient, auch mal der Erste zu sein.«
»Das wusste ich nicht«, sagte Susannah zu Jim. »Sie hat es uns nie erzählt.«
»Während der ersten Tage hier in der Schule hat sie Quinn recht heftig beschützt. Er war ängstlich und machte sich wegen der Keimgeschichte Sorgen und weil er nicht wusste, ob er sich in die Gruppe eingliedern könnte.«
»Zu Hause ist sie ziemlich gemein zu ihm.«
»Wie gesagt, sie lässt Sie sehen, was sie Sie sehen lassen will.«
»Danke, dass Sie es mir gesagt haben«, sagte Susannah. »Matt wird froh sein, wenn er das erfährt.«
»Wie geht es Matt?«
»Oh, gut. Er hat viel zu tun.«
In Wirklichkeit wusste Susannah gar nicht genau, wie es Matt ging. Er war telefonisch noch immer schwer zu erreichen, und wenn sie miteinander sprachen, wirkte er müde oder gereizt. In letzter Zeit hatte sie den Eindruck, dass alles, was sie sagte, Matt ärgerte, aber sie wusste nicht, warum das so war oder was sie dagegen tun konnte. Sobald sie ihn fragte, ob irgendetwas nicht stimme, pflegte er zu antworten: »Ich weiß nicht, was du meinst.« Und danach folgte ein langes, unbehagliches Schweigen.
»Gut. Ich muss weiter«, sagte Jim. »Ist das wirklich in Ordnung mit den Plakaten bis Montag?«
»Ja, Montag ist kein Problem«, bestätigte sie und wandte sich wieder ihrem Pizzateig zu.
Nachdem sich die Tür hinter Jim geschlossen hatte, fühlte sie sich aus irgendeinem Grund auf Sounder einsamer als je zuvor.
Am Montag brachte Susannah ihre Plakate in die Schule. Sie hatte einige Tage daran gearbeitet und Gedicht für Gedicht in dem Buch gelesen, das Jim ihr mitgebracht hatte. Sie hatte diverse Skizzen angefertigt und war mit dem Zeichenblock herumgelaufen, um das Tageslicht möglichst intensiv auszunutzen. Es war Jahre her, dass sie irgendetwas Künstlerisches angefertigt hatte, und sie war von Zweifeln geplagt. Nachdem sie Zeichnung für Zeichnung zerknüllt und in den Ofen gestopft hatte, war sie einen anderen Weg gegangen.
Der Unterricht war schon beendet, als Susannah eintraf. Wie inzwischen üblich, wusste sie nicht, wo genau ihre Kinder steckten. Katie war vermutlich mit Hood und Baker irgendwo, da die drei unzertrennlich waren, und Quinn hatte sich vielleicht zum Haus von Barfuß aufgemacht. Barfuß brachte ihm bei, wie man Pflanzen bestimmte und katalogisierte, eine Tätigkeit, die Quinn liebte. Und wenn er nicht mit Barfuß zusammen war, dann mit Evelyne Waters, seiner neuen besten Freundin. Die zehnjährige Evelyne wohnte auf der anderen Seite der Insel, wo ihre Eltern Lavendel anbauten. Sie verkauften Lavendelgelee, Lavendelkissen und Lavendelseife. Susannah fragte sich, ob der süße, beruhigende Lavendelduft, der an Evelyne hing – in ihren Haaren, ihrer Kleidung und sogar an ihrer Haut –, einen Teil der Anziehungskraft ausmachte, die sie auf ihn ausübte. Sie war Quinns
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