Das Leuchten der Insel
trug), musste sie wegsehen, weil es in ihr solch ein Verlangen nach einem Mann auslöste, der sie in seinen Armen hielt.
Es gab in jener Saison einen reichen Krabbenfang, und der Kapitän bat Bill, bis Mitte August zu bleiben. Bill willigte ein, weil die Bezahlung gut war. Darum verbrachte Betty zum ersten Mal einen Sommer allein auf Sounder, worüber sie gar nicht glücklich war. Wogen die zwei zusätzlichen Monatslöhne tatsächlich den Schmerz von Jim auf, der ganz für die Zeit lebte, in der sein Vater zu Hause war? Und sehnte sich Bill nicht genug nach ihr, um zu sagen: »Zum Teufel mit dem Geld!«? Sie schalt sich selbst einen romantischen Dummkopf.
Barfuß zögerte keine Sekunde, als sie ihn bat, Jim Schwimmunterricht zu geben.
»Ich mag Jim«, sagte er. »Ich mach’s.«
In dem Moment, als Barfuß zustimmte, war sie plötzlich voller Zweifel. Mit fünf besaß Jim wenig von Bills natürlicher Gewandtheit und Sportlichkeit. Er hatte, wie Betty, lange Beine und Arme und stolperte häufig über seine eigenen Füße. Und so oft ihm Bill auch zeigte, wie man einen Baseball an den Nähten packte, mit dem linken Fuß vortrat und sich mit dem rechten für den Wurf abstieß – Jim schaffte es nicht. Er trat mit dem falschen Fuß vor oder stieß sich so heftig ab, dass er herumwirbelte und hinfiel.
Jim war auch das, was Betty als »lichten Menschen« bezeichnete – was nichts mit seinem Körperbau zu tun hatte. Die Leute auf Sounder sprachen von der Insel oft als »lichtem Ort«, als Ort, wo der Schleier zwischen dem Normalen und dem Heiligen dünner war als anderswo; als Ort, wo man Gott leichter berühren konnte, wenn man gläubig war (was auf Betty nicht zutraf). Sie glaubte jedoch, dass es »lichte Menschen« wie Jim gab, für die die Grenze zwischen Gefühl und Erfahrung hauchdünn war und die Leid, Liebe, Verzweiflung und Freude mit einer Intensität empfanden, die Betty erschreckte. Sie sorgte sich, dass Barfuß wohl wenig Verständnis für Jims außerordentliche Empfindsamkeit haben würde.
Am Tag der ersten Unterrichtsstunde fuhr Betty ihren Sohn über laubbeschattete Straßen ins Inselinnere und parkte am Straßenrand. Dann folgten sie fast zwanzig Minuten lang einem Weg bis zum Jake’s Lake (der nach einem der frühen Pioniere von Sounder benannt worden war), wo Barfuß auf sie wartete. Sie fragte sich, wie er dorthin gekommen war. Der See lag über drei Kilometer von seinem Haus auf Crane’s Point entfernt, und sie dachte lächelnd: »Möglicherweise ist er mit zehn Kilo Steinen auf dem Rücken barfuß durch den Wald gelaufen.« Claire schien ihn ja von seiner Physis her als eine Art Halbgott zu betrachten.
Jim war voller Vorfreude, aber auch nervös. Er hatte sie während ihres Marschs durch den Wald mit Fragen über Barfuß bombardiert, und sein Eifer brach ihr das Herz. Ihr Sohn vermisste seinen Vater, und manchmal pochte ihr Ärger über Bill wie etwas Lebendiges in ihr.
Sie beobachtete, wie Barfuß Jim taxierte, als sie auf dem felsigen Ufer des kleinen Sees auf ihn zugingen, und wie sich seine Augen verengten, um sich auf Jims Bewegungen, seine langen Gliedmaßen, sein Gesicht zu konzentrieren.
»Ich wette, dass du im Baseball oder Fußball nicht gut bist«, sagte Barfuß, als sie bei ihm ankamen.
Jim zog ein langes Gesicht.
»Du Dreckskerl«, dachte Betty. Sie wollte sich schon umdrehen und mit Jim wieder durch den Wald zurückgehen, als Barfuß sagte:
»Das liegt daran, dass du ein geborener Schwimmer bist. Ich kann es sehen.«
Jim blickte Barfuß argwöhnisch an.
»Sieh dir deine Spannweite an«, fuhr Barfuß fort und nahm eine von Jims Händen, um seinen Arm seitlich auszustrecken. »Die Schubkraft beim Schwimmen kommt vom Armantrieb, nicht aus dem Beinschlag. Ich wette, deine Freunde strampeln beim Schwimmen wie verrückt mit den Beinen und kommen trotzdem nicht vorwärts. In ein paar Wochen wirst du jedem, den du kennst, davonschwimmen.«
»Wirklich?«
»Ja«, versicherte Barfuß und sah Jim in die Augen. »Ich sage nichts, was nicht stimmt.«
Barfuß begann nun, Jim vorzuführen, wie ein echter Schwimmzug aussah. Betty setzte sich auf einen Felsen am Wasser und sah zu. Barfuß bewegte sich so natürlich wie ein Fisch oder ein Seehund im Wasser und drehte sich bei jedem Zug fast auf die Seite, um dann dahinzugleiten. Es sah wunderschön aus.
Den ersten Tag verbrachte er damit, Jim beizubringen, sich im Wasser zu drehen.
»Vergiss im Moment mal deine Arme und Beine. Dein
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