Das Leuchten der Orchideen: Roman (German Edition)
zurückkamen, ging die Sonne bereits unter, und Julie empfand das abendliche Bad im Fluss zusammen mit den Frauen und Kindern auch diesmal wieder als eine willkommene, wohltuende Erfrischung.
An diesem Abend gab es weder Gesang noch Tanz. Nach dem Essen lehnte sich Tuai Jimbun mit seiner Zigarette zurück, und alle machten es sich bequem und schauten ihn erwartungsvoll an.
»Großvater erzählt eine Geschichte«, erklärte Chitra Julie und übersetzte, was der alte Mann in monotonem Tonfall vortrug. Es war eine der Lieblingsgeschichten seiner Zuhörerschaft.
Als Julie dann den Ruai entlang zu ihrem Bilek ging, hielt Charles sie nach ein paar Schritten auf.
»Falls Sie Interesse haben sollten – ich fahre morgen flussabwärts, denn ich muss nach Kuching zurück. Möchten Sie mitkommen? Offenbar hat das Team noch eine Menge Feldforschung vor sich, und ich könnte mir vorstellen, dass Sie die wissenschaftliche Arbeit nicht allzu sehr interessiert?«
Julie ergriff die Gelegenheit beim Schopf. »Oh, das nehme ich gerne an. Prima. Und sehr nett von Ihnen. Ich sage den anderen morgen früh Bescheid.«
Charles nickte. »Dann können wir uns ja unterwegs unterhalten.«
Was für eine seltsame Bemerkung, dachte Julie. Doch kaum hatte sie sich neben den Mädchen auf ihre Matte gelegt, war sie auch schon eingeschlummert.
Ihre Entscheidung, so plötzlich abzureisen, überraschte David sehr. Angeblich war er nur um ihr Wohlergehen besorgt und deshalb beunruhigt darüber, dass sie mit Charles nach Kuching fahren wolle. Aber wahrscheinlich ärgert es ihn, dass ich mich ihm damit entziehe, überlegte Julie.
»Charles macht einen sehr fähigen Eindruck, und Ngali steuert das Boot. Ich möchte gern so rasch wie möglich nach Kuching zurück, um dort noch einige Zeit zu verbringen und mich noch einmal mit Angie zu treffen. Es war ein wunderbares Erlebnis, und ich kann euch gar nicht genug dafür danken, dass ihr mich mitgenommen habt. Aber jetzt habt ihr eine Menge zu tun, und da möchte ich nicht im Weg sein. Wir sehen uns dann später wieder«, meinte sie vage.
»Ich fühle mich verantwortlich für dich«, sagte er. »Ich habe deiner Mutter versprochen …«
»David! Ich bin eine erwachsene Frau. Und auch wenn ich mich im Dschungel nicht so gut auskenne wie du, bin ich in Begleitung von Charles ja wohl ziemlich sicher.«
Chitra erklärte Julie, in welcher Reihenfolge sie sich von ihren Gastgebern zu verabschieden hatte, und sagte ihr die passenden Worte vor, mit denen sie sich bei ihnen bedanken konnte. Als sie die Runde beendet hatte, waren die anderen bereits zu ihren Forschungen aufgebrochen. Eine kleine Kinderschar und ein paar Frauen begleiteten Julie zum Boot, wo Charles und Ngali sie erwarteten.
Mit weniger Personen und Gepäck an Bord gestaltete sich die Fahrt viel einfacher, zumal es jetzt flussabwärts ging.
Charles machte sie auf ein paar Sehenswürdigkeiten aufmerksam und schwieg ansonsten die meiste Zeit, während das Boot durchs kakaofarbene Wasser glitt.
Als sie das Dorf bei dem alten Fort erreichten, verstauten sie das Gepäck in Charles’ altem Wagen, der »klimatisiert« war, wenn man alle Fensterscheiben herunterkurbelte. Vor der Abfahrt tranken sie in einem kleinen Laden einen gesüßten Kopi susu, den hiesigen Kaffee. Nun nahm Charles die Sonnenbrille ab und zeigte sich gesprächiger.
»Und, war dieses kleine Abenteuer nützlich für Sie?«, fragte er.
»Es war interessant. Aber ich bin ja weder auf Forschungsreise, noch will ich einen Film drehen oder etwas darüber schreiben. Ich wollte nur ein Gefühl dafür bekommen, wie es hier einmal war. Und ich fühle mich sehr geehrt, dass ich das erleben durfte.«
»Sie meinen, wie es hier war, als Ihre Tante die Iban besucht hat?«, fragte er.
»Ja, wahrscheinlich. Seither dürfte sich dort nicht viel verändert haben, denke ich.«
»Ich habe mit meinem Vater gesprochen, und er glaubt, dass er von Ihrer Tante gehört hat. Sie war mit einem reichen chinesischen Händler verheiratet und kam mit ihm zusammen nach Sarawak. Später ist sie auf eigene Faust hergereist und hat bei Einheimischen gewohnt. Ich habe meinen Vater mit Fragen gelöchert, aber da sie nicht in unserem Langhaus war, wusste er nicht viel. Sie hat näher an der Grenze zu Kalimantan gewohnt. Anscheinend hat sie sich auch für Orang-Utans interessiert.«
»Spannend«, sagte Julie. »Schade, dass ich Tuai James und Tuai Jimbun nicht mehr näher dazu befragen kann.«
»Offenbar
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