Das Leuchten der Orchideen: Roman (German Edition)
Tuai James.
Beruhigend legte Charles, der zwischen ihnen saß, die eine Hand auf den Arm seines Vaters, die andere auf den seines Großvaters. »Es stimmt«, sagte er. »Die Staudämme werden Sarawak verändern. Sie planen Wasserkraftanlagen und Unterwasserkabel, um das restliche Malaysia mit dem Strom zu versorgen, und wollen Schmelzhütten und Minen errichten. Um diese Dämme zu bauen, werden Langhäuser wie unseres wohl geflutet werden.« Er zuckte die Achseln. »Aber die alten Leute wollen nun mal keine Veränderungen.«
»Gibt es etwas, was dein Großvater dagegen tun könnte?«, fragte David.
»Er hofft darauf, dass die Petara, die Halbgötter, seine Familie schützen werden. Er wird den Manang, den Schamanen, bitten, mit einer besonderen Gawai-Zeremonie die Gottheiten Kelieng und Kumang anzurufen. Zudem wird man ein fettes Schwein schlachten und das Langhaus und die Familienmitglieder mit dem Blut beschmieren, damit die Götter sie schützen können.« Er hielt inne. »So will es mein Großvater. Manche aber glauben, das sei nicht genug, und wollen aktiver gegen die Dämme kämpfen. Doch was sollen wir der Korruption, der Politik, dem großem Geld, dem Einfluss und den Investitionen aus dem Ausland entgegensetzen?« Er wandte sich an Barry. »Ich hoffe, dass du den Menschen in den Städten diese Geschichte erzählen wirst. Du musst ihnen vor Augen führen, was da verlorengeht.« Mit diesen Worten stand Charles auf und verschwand in der Dunkelheit.
Immer noch wurde der Tuak weitergereicht, und die alten Frauen ergriffen nun ebenfalls das Wort. Für Julie war offensichtlich, dass alle darüber redeten, was der alte Stammesführer gesagt hatte.
Bald danach ging man wieder zu Musik und Gesang über. Alte Lieder, die von der Vergangenheit, von Legenden und Kämpfen erzählten, hallten durch das hölzerne Langhaus. Kinder schliefen an Ort und Stelle ein, und die Schöpfkelle wurde ins Reisweinfass getaucht, um abermals die Becher zu füllen.
Schon von den wenigen Schlucken Tuak war Julie etwas benommen, und David, der zusätzlich noch ihren Anteil mitgetrunken hatte, wirkte ziemlich beschwipst. Da Julie das dringende Bedürfnis nach frischer Luft verspürte, entfernte sie sich unauffällig und trat mit der Taschenlampe auf die Tanju hinaus.
Sie stand am Geländer und betrachtete die Silhouette des Dschungels auf der anderen Flussseite. Was für wilde Tiere mochten dort jetzt unterwegs sein? Würde sie je den Mut haben, da draußen zu sitzen oder gar nachts im Dschungel zu schlafen wie ihre Großtante Bette? Mit einem Mal erschien ihr der Dschungel allzu nahe und bedrohlich. Aber das Gelächter und der Gesang hinter ihr, der helle Schein der Öllampen wirkten beruhigend. Sie ging ans Ende der Veranda und sah zu den Bergen empor, die sich vom dunklen Nachthimmel abhoben. Zum ersten Mal, seit sie in Malaysia war, sah sie an einem klaren Himmel die Sterne funkeln.
Sie fühlte, wie die Bambuslatten unter ihren Füßen zitterten, als jemand sich mit leichten Schritten näherte. Gerade als sie sich umdrehen wollte, ertönte ganz nah ein Affenschrei, dem weiteres Kreischen folgte. Zitternd schaltete Julie ihre Taschenlampe an und suchte die Gegend ab, konnte in der Dunkelheit aber nichts erkennen. Erst als sie den gelben Lichtstrahl auf die Tanju richtete, schrie sie vor Schreck auf und wich zurück.
Köpfe, die Münder zu stummen Schreien aufgerissen, starrten sie aus augenlosen Höhlen an.
»Haben Sie keine Angst. Sie sind alt und harmlos.« Charles trat auf sie zu. »Es sind Trophäen, die meine Vorfahren im Kampf erbeutet haben.«
»Tuai Jimbun? Ihr Großvater?«
Weiße Zähne blitzten auf, als Charles sie anlächelte. »Ja. Auch er war ein Kopfjäger. Ist Ihnen aufgefallen, dass seine Handrücken tätowiert sind? Das ist das Zeichen, dass jemand einen Kopf genommen hat. Es war ein Ritual, mit dem man sich von anderen Männern absetzte. Die weißen Radschas haben versucht, diese Sitte auszurotten. Wie so vieles gelang auch dies nach einer Weile, aber die Köpfe, die vor langer Zeit genommen wurden, werden immer noch hochgeschätzt und respektiert.«
»Was Sie vorher drinnen über die Zukunft gesagt haben, über die Dämme, mit denen alles überflutet wird, und die Veränderungen, die das mit sich bringt – macht Ihnen das nicht Sorgen?«, fragte Julie. »Das Haus meiner Familie ist auch durch ein Infrastrukturprojekt bedroht, was meine Mutter und mich sehr bedrückt. Aber wir kämpfen dagegen.«
»Dafür
Weitere Kostenlose Bücher