Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
Kirchentür aus Holz war nur angelehnt. Er stieß sie auf und ließ
ihr den Vortritt in den großen, hohen, lang gestreckten und weiß gekalkten
Raum, in den durch schmale Fenster aus buntem Glas das milde Abendlicht
hereinfiel. Die Kirche hätte auch irgendwo zu Hause stehen können, dachte Emma.
Nie hätte sie eine solche Kirche mitten in der Wüste erwartet. Auf dem
Steinboden standen Holzbänke und vorn, auf einem Podest, erhob sich der Altar,
ein schlichter, aber massiver Tisch, und rechts davon, an der Wand, stand
tatsächlich ein Harmonium. Doch dann sah sie das andere, das, was den Eindruck
eines friedvollen Gotteshauses zerstörte: Das Holzkreuz, dessen Umrisse man
noch an der weißen Wand konnte, lag zerschlagen neben dem Altar. Und jemand
hatte mit roter Farbe „SATAN“ an die Wand gepinselt. Emma erschauerte. Sie
drehte sich zu Paul um, der mit versteinerter Miene hinter ihr stand.
„Was ist da geschehen?“, flüsterte sie, und doch hallten ihre
Worte durch den großen Raum. Anstatt zu antworten, ging Paul zum Altar, kniete
kurz nieder, hob die Teile auf und legte sie auf dem Boden wieder zu einem
Kreuz zusammen. „Wir brauchen
Kalk“, sagte Emma „Eric weiß sicher, wo man welchen findet.“ Paul reagierte
nicht. „Paul, komm!“ Als er sich noch immer nicht regte, ging sie zu ihm, nahm
seine Hand und zog ihn hinaus. Draußen stand Petrus, als hätte er auf sie
gewartet. „Warum habt ihr das getan?“ Sie konnte ihre Wut und Enttäuschung
nicht unterdrücken. „Niemand dort gewesen“, sagte er mit seiner sanften, leisen
Stimme. „Haus von Gott.“ „Warum habt ihr dann das Kreuz zerschlagen?“, fuhr sie
ihn an. „Gott wohnt nicht mehr da.“
Emma erwartete, dass
Paul seinem Zorn freien Lauf ließ, ja, sie hätte sich nicht gewundert, wenn er
Petrus gepackt und geschüttelt hätte, doch er sah ihm nur fest in die Augen,
bis dieser den Kopf senkte und zurück zu den Hütten trottete. „Sie werden Gott
kennen lernen“, sagte er, und es klang wie eine Drohung. „Der Friedhof ist dort
hinten, hat John gesagt.“ Er zeigte zu einem flachen kleinen Gebäude hinter der
Kirche. Sie ging mit ihm.
Hinter dem Gebäude, das
wohl als Schmiede gedient hatte - Emma konnte im Vorbeigehen die große
Feuerstelle, einen Amboss, Hammer und Zangen und ein paar Hufeisen erkennen -,
war ein Stück Erde mit einem
rostigen Draht eingezäunt. Emma zählte fünf grob behauene Grabsteine, die in
der untergehenden Sonne lange Schatten warfen. Sie beobachtete Paul, wie er von
Grabstein zu Grabstein ging und die Namen entzifferte. Sie folgte ihm und las
den Namen der Frau des ersten Missionars, die vor dreißig Jahren hier beerdigt
worden war. Helene Sauerbier. Zwei weitere deutsch klingende Namen entdeckte
sie, die sie jedoch noch nie gehört hatte; auf den anderen beiden Steinen
konnte sie Johannes und Lukas lesen. Es waren sicher getaufte Eingeborene,
dachte sie, vor zwanzig Jahren verstorben.
„Ich verstehe nicht
...“, murmelte Paul und blickte dabei über die Gräber. Emma wusste, was er
suchte. „Kanntest du sie?“, fragte Emma. „Wen?“ „Margarete?“ Er lachte kurz
auf, es war ein seltsames Lachen, unecht, nervös, dann wanderte sein Blick über
das Land zu den in den im Abendlicht violett schimmernden Bergen. „Nein, ich
kannte sie nicht.“ Ohne sie anzusehen, drehte er sich um. Emma blickte ihm
nach, wie er mit behäbigen Schritten zwischen den Büschen neben der Schmiede
hindurchging. „Paul!“ Sie lief hinter ihm her. „Paul!“ Verwundert und müde sah
er sie an. „Glaubst du ...“ Sie rang nach Luft, als sie ihn erreicht hatte. „Glaubst
du, dass ...“ Sie fürchtete sich davor, es auszusprechen. „... dass Margarete
und Hermann Weiß von den Eingeborenen ermordet wurden?“ Wie taub stand Paul da,
ganz in seine Gedanken vertieft, in die er niemanden einweihen wollte. „Paul!
Ich will jetzt wissen, was du weißt!“ Lange sah er sie an, seine Augen schienen
etwas in ihr zu suchen, aber sie fanden es nicht, denn schließlich seufzte er
leise und wandte sich zum Gehen. „Paul!“ Doch er drehte sich nicht mehr um.
Hinter der Kirche konnte
sie die runden Hütten aus Flechtwerk erkennen. Rauch von den Lagerfeuern stieg
auf, und Gesänge drangen heran. Sie ertappte sich dabei, wie sie die Zahl der
Eingeborenen gegen ihre Zahl aufrechnete. Fünfzehn gegen fünf, ohne Martha
sogar nur vier ... Sie hatten Speere ... und sie ... Sie
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