Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
ich denke, ich verstehe ihn schon“,
antwortete Emma wahrheitsgemäß. „Ihre Vorgängerin war nicht so humorvoll“,
sagte Mr. Miller. Emma horchte auf. „Margarete Weiß?“ Mrs. Miller schüttelte
den Kopf. „Ach, Henry, sie war eben ein bisschen zart besaitet.“ „Wieso?“,
fragte Emma neugierig. Jetzt schnaufte Mr. Miller, als bereute er schon, den Namen überhaupt erwähnt zu haben.
„Ach, wissen Sie ...“, begann er, aber seine Frau fiel ihm ins Wort. „Was Henry
sagen will“, erklärte sie, „Margarete war ein bisschen vergeistigt , wenn Sie verstehen ...“ „Nein ...“ Mrs. Miller seufzte
und senkte ihre Stimme. „Wissen Sie, sie hat sich mit diesem ganzen ... Ich
meine, mit diesem Zauber der Eingeborenen beschäftigt.“ „Tatsächlich?“ Nun
zuckte Mr. Miller die Schultern. „Das sagt man so.“ Er machte eine wegwerfende
Handbewegung. „Sobald jemand unter ungeklärten Umständen verschwindet, fangen
die Leute an, sich Geschichten zu erzählen.“ „Das sind keine Geschichten,
Henry!“, sagte Mrs. Miller tadelnd. Ihr Humor war mit einem Schlag dahin. „Nur
... wenn man sich zu viel mit den Eingeborenen beschäftigt, dann vernachlässigt
man seine eigentliche Pflicht. Schließlich war sie eine christliche
Missionarin!“ „Am Ende weiß
es jeder besser “, sagte Mr. Miller. „Aber Henry, du hast doch damals selbst
gesagt, die Kirche sollte zusehen, dass die Schwarzen bald wie Weiße ...“ „Ich
glaube, Irene“, fiel er ihr ins Wort, „wir sollten helfen, die Sachen
abzuladen! Entschuldigen Sie, Mrs. Schott!“ Er hatte den Arm und die Schulter
seiner Frau gelegt und schob sie zum Wagen. Emma hatte Paul von diesem Gespräch
nichts gesagt.
Kurz vor Sonnenuntergang
erreichten sie endlich Neumünster. Was für ein Anblick! Schon von weitem
konnten sie den weiß gekalkten Kirchturm sehen, der seine Spitze in den Himmel
reckte. Nach Wochen, ja Monaten voller Ungewissheit, ohne wirkliche
Vorstellung, wie Neumünster aussehen würde, war sie nun endlich angekommen!
Neumünster: weiß gekalkte Steinhäuser rund um eine Kirche – mitten in der
roten Wüste. Ergriffen fasste Emma nach Pauls Arm. Sie musste an seinen
Ausspruch denken, als sie die australische Küste erblickt hatten: „Das ist das
Land, in das Gott uns geführt hat!“ Und dabei hatten seine blauen Augen
geleuchtet. Er sah zu ihr herüber, seine Augen glänzten, doch sie glaubte in
seinem Blick etwas Düsteres zu bemerken. Aber sie hatte sich abgewöhnt, Fragen
zu stellen.
Vor den Steinhäusern
duckten sich Hütten aus Ästen und Buschwerk. Dort standen etwa fünfzehn,
zwanzig Menschen, darunter eine Hand voll Kinder, und beobachteten schweigend
die Ankommenden. Nein, sie winkten nicht, sie jubelten nicht, sie begrüßten die
Missionare nicht mit freudigen Tänzen und Gesängen! Hatte sie so etwas denn
tatsächlich erwartet? Diese Menschen betrachteten sie mit ernstem,
unergründlichem Ausdruck .
Was wollen wir
eigentlich hier?, dachte Emma plötzlich. Wieso dringen wir in ihre Welt ein?
Wer gibt uns die Erlaubnis dazu? Ein unangenehmes Gefühl, nicht willkommen zu
sein, stieg in ihr hoch. Doch sofort verdrängte sie es wieder. Sie hatten die
Aufgabe, das dumpfe Leben dieser Menschen mit Gottes froher Botschaft zu
erhellen, sie Lesen und Schreiben zu lehren, um sie aus ihrer Unwissenheit ins
Licht zu führen! Nie hatten diese Gedanken so hohl in ihr geklungen ...
Paul ließ die Wagen vor
den Hütten anhalten. Einen Augenblick lang geschah nichts. Die Menschen, von
denen einige nackt waren, bewegten sich nicht, sondern starrten sie weiterhin
nur an. Wie sollen wir diese Menschen jemals verstehen ... und wie sollen sie uns verstehen?, schoss es Emma durch den
Kopf.
„Wir sind eure
Freunde!“, sagte Paul auf Aranda. Es war die Sprache, die viele Eingeborene in
der Gegend sprachen oder zumindest verstanden, hatte er Emma erklärt. Pauls
Worte verhallten. Herr, betete Emma, bitte, lass sie uns willkommen heißen. Wir
können doch nicht den ganzen Weg umsonst gemacht haben, um am Ende nicht
gewollt zu sein!
Wie still es war. Nur
das Schnauben der Rinder und Pferde war zu hören. Da trat ein Mann in einer
schmutzigen, zerrissenen Hose vor. Er war mager und nicht besonders groß, seine
Haut war faltig, sein weißes Haar hatte er mit einem dunklen Stirnband nach
hinten gebunden. Seine schwarzen
Augen blitzten. Ein wirrer grauer Bart verbarg seinen Mund, in seiner
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