Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
schämte sich für ihren
Argwohn.
Sie wollte gerade zurück
zum Haus gehen, um wenigstens die Schlaflager für diese Nacht herzurichten, als
sie kaum fünfzig Schritte entfernt, neben einer gemauerten Zisterne, einen
Eingeborenen bemerkte, der sie nicht aus den Augen ließ. Wie lange stand er
schon da? Er trug ein Kopfband mit Federn und einen Lendenschurz. Regungslos
sah er sie an. Zuerst wollte sie ins Haus laufen, doch dann kehrte das Gefühl
zurück, das sie ergriffen hatte, als sie ihre Angst vor der Schlange überwunden
hatte, und so ging sie auf den Eingeborenen zu, der sich nicht von der Stelle
rührte.
Etwa drei Meter vor ihm
blieb sie stehen und sah ihm in die Augen, die so schmal waren wie die einer
Echse. „Wer bist du?“, fragte sie in seiner Sprache. Der Mann antwortete nicht.
Erst als sie die Frage wiederholte, sagte er: „Wirinun.“ Wirinun heißt
Medizinmann, das hatte sie gelernt. Wenn einer etwas wusste, dann war er es.
„Ich heiße Emma“, sagte sie. Er schwieg. „Wirinun, weißt du, wo der Pastor und
seine Frau sind?“ Der Eingeborene wandte den Blick ab und sah in die Ferne, wo
die Farben der Berge in der Dämmerung verblassten. „Du verstehst mich doch?“ Er
reagierte nicht. „Was habt ihr mit ihnen gemacht?“, fragte sie nun lauter und in
Englisch, weil sie nicht wusste, wie es in Aranda hieß. Sein Blick kehrte zu
ihr zurück, dann gab er klackende und krächzende Laute von sich und ließ sie
einfach stehen. Sie konnte nur noch sehen, wie er zwischen den Hütten
verschwand. Er weiß es, dachte sie. Ganz sicher weiß er es ...
In dieser ersten Nacht
vergewisserte sie sich mehrmals, dass alle Fenster geschlossen und die Türen
fest verriegelt waren. Da die Matratzen und Kissen unbrauchbar waren, nahmen
sie Decken und legten sich auf den Boden. Obwohl sie todmüde war, konnte sie
nicht schlafen. Zwischen dem Gebell von Hunden und den Gesängen der
Eingeborenen glaubte sie immer wieder Schritte zu hören, die um das Haus
herumschlichen. Erst in den frühen Morgenstunden, als das Licht der aufgehenden
Sonne schimmerte, fiel sie in einen kurzen Schlaf.
5
Gleich am zweiten Tag
begann Emma mit Hilfe von Martha und drei Frauen das Vorratsgebäude zu
reinigen. Es war nicht einfach gewesen, die Frauen für die Arbeit mit Besen und
Lappen zu gewinnen. Schließlich waren sie einverstanden, als Emma ihnen
zusätzlich zu Mehl und Tee eine Extraration Zucker versprach. Drei Stunden lang
hielten sie durch, dann wollten sie nicht mehr, stellten Besen und Schaufel
beiseite.
„Was ist los?“, fragte
sie Martha, die bei der Arbeit mit den Frauen geplaudert hatte und sich wohl
recht gut mit ihnen verstand. Martha sah beschämt zu Boden. „Was ist?“,
wiederholte Emma und strich sich eine feuchte Haarsträhne aus der Stirn.
Vielleicht hatte sie etwas falsch gemacht. „Sie wollen Zucker“, sagte Martha
schüchtern und blickte Emma mit ihren dunklen Augen ängstlich an. „Aber wir
sind noch nicht mit der Arbeit fertig!“, erwiderte Emma geduldig und
freundlich. Die Frauen begannen zu murmeln und heftig zu gestikulieren. Hilfe
suchend wandte sich Emma wieder an Martha. „Sie sagen: Haben genug gearbeitet
für Zucker“, übersetzte diese. „Oh, nein, das haben sie nicht!“, sagte Emma und
sah die Frauen einzeln an:
Mani, eine blutjunge
schwangere Frau mit großen, scheuen Augen und dichten, kurzen Locken; Isi, die
kräftige und unerschrockene Wortführerin; und Pjakata, die lange Arme und Beine
und ein ernstes, schmales Gesicht hatte, das von einem Kopftuch umrahmt
wurde. Alle trugen knöchellange
Kleider aus grobem Stoff, der in der Taille mit einem dünnen Gürtel
zusammengehalten wurde.
„Ich muss auch arbeiten,
um den Zucker zu bekommen, damit ich ihn euch geben kann“, sagte Emma und
hoffte, dass Martha das richtig übersetzen konnte. Die Frauen standen weiterhin
da, hörten zu, was Martha ihnen sagte, hatten aber aufgehört zu murmeln. Emma
sah die Frauen aufmunternd an und machte sich wieder an die Arbeit. Doch die
Frauen beobachteten sie nur. Da drehte sich Emma zu ihnen um, stützte sich auf
den Besenstiel und sagte: „Wenn ihr mir nicht helft, kann ich euch keinen
Zucker geben ... und bald auch kein Essen mehr.“
Obwohl die Frauen sie
sicher verstanden hatten, übersetzte Martha. Sie murmelten noch eine Weile,
während Emma unbeirrt kehrte, doch dann griffen sie plötzlich zu ihren Besen
und Lappen und arbeiteten
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