Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
einladen,
hierher nach Neumünster zu kommen, damit Sie sehen können, was mit Hilfe Ihrer
Spenden geschaffen wurde.
Inmitten des Kontinents, weit ab von
Orten und Straßen, haben mutige Männer und Frauen versucht, den Eingeborenen,
denen wir ihren Lebensraum geraubt
haben, eine Zuflucht zu schaffen.
Doch nun soll hier nach Gold gesucht
werden, und damit ist nicht nur diese Zuflucht in Gefahr, sondern auch die
Zukunft dieser Menschen. Denn wenn die letzten Orte, die sie mit ihrer
Geschichte und ihren Vorfahren verbinden, zerstört werden, dann werden sie
wurzellos herumirren, ohne Halt und ohne Zuversicht. Sie werden zugrunde gehen,
und wir tragen die Schuld daran. Möge Jesus Christus uns den rechten Weg weisen
und uns allen Stärke schenken, damit wir uns für unsere Nächsten
einsetzen.
Wir dürfen nicht zulassen, dass
Habgier nach Reichtümern das Leben dieser Menschen zerstört.
Hochachtungsvoll
Ihre Emma Schott
Neumünster, im Dezember 1922
Sie las den Brief noch zwei Mal, und als sie und auch Robert
nichts daran auszusetzen fanden, gingen sie hinaus und ließen ihn von allen mit
ihrem vom Ruß des Feuers geschwärzten Fingerabdruck unterzeichnen. Der Brief
sah eindrucksvoll aus, stellte Emma zufrieden fest. Mit den Fotografien von
Robert würde er bei den Unterstützern der Missionsgesellschaft hoffentlich
seine Wirkung nicht verfehlen.
Später, der Mond war
schon lange aufgegangen, eine silbrige Scheibe, die die Landschaft in ein
fremdartiges Licht tauchte, standen Emma und Robert auf der Veranda. Vor Emma
tauchten die Bilder jener Nacht wieder auf, in der sie sich zum ersten Mal so
nah gewesen waren. Obwohl sich die äußeren Umstände geändert hatten, fühlte sie
sich nicht frei. Etwas in ihr warnte sie davor, eine Grenze zu überschreiten
...
„Wie lange ist es her,
dass Sie Musik gehört haben?“, fragte Robert unvermittelt. Erstaunt sah sie ihn
an. „Na?“ Er lächelte. Die Flamme der Kerosinlampe tanzte in seinen braungrünen
Augen. Sie dachte kurz an das Willkommensfest in Tanunda, als die Musikgruppe
ihnen zu Ehren aufspielte, doch dann wurde die Erinnerung verdrängt von den
Abenden auf der Britannia mit Paul. Der salzige Geruch des Ozeans stieg
ihr wieder in die Nase, sie hörte den Bug zischend durch die Wellen pflügen,
sie sah das Mondlicht auf dem Wasser schimmern. Wie hoffnungsvoll hatte alles
angefangen, dachte sie und konnte ein Seufzen nicht unterdrücken.
„Sie weinen ja“, sagte er.
„Ach, nein“, sagte sie rasch, „es ist nur ...“ Sie suchte nach den passenden
Worten, doch da legte er den Finger auf ihre Lippen. „Psst, nicht weiterreden.
Machen Sie die Augen zu.“ Sie sah ihn fragend an.
„Bitte, nur kurz, und
bleiben Sie da stehen. Ich bin gleich wieder zurück.“ Sie schloss die Augen.
Was hatte er vor? Ihr Herz klopfte aufgeregt, und noch immer spürte sie seinen
Finger auf ihren Lippen. Sie atmete tief den Duft der Nacht ein und lauschte
dem Knacken der Äste, dem Wispern der Blätter, den entfernten Stimmen bei den
Hütten, bis sie wieder seine Schritte hörte. Offenbar stellte er etwas auf den
Tisch. Dann vernahm sie ein Knacken, als drehe sich eine Kurbel, gefolgt von
einem schleifenden Geräusch.
„Und jetzt die Augen
auf!“ Musik begann zu spielen. Emma erblickte ein Grammophon und die sich
drehende Platte. Schon nach den ersten Takten erkannte sie die Musik. Caruso
sang eine Arie aus La Bohème . Ihre Mutter liebte Opern, und schon
vor dem Krieg hatten sie ein Grammophon und zwei Platten von Enrico Caruso
besessen.
„Ach, Robert“, konnte sie nur noch hervorbringen. Erinnerungen
überfielen sie, doch bevor sie weinen konnte, lächelte er sie an und sagte:
„Ich bin zwar ein miserabler Tänzer, aber ...“ Er sprach nicht weiter, sondern
nahm sie in die Arme, und sie ließ es zu ... Wie sehr hatte sie sich danach
gesehnt, nach einer Berührung! Sie ließ sich halten, und plötzlich war ihr, als
sei alle Last von ihr genommen. Carusos Stimme erfüllte die Nacht, und sie war
glücklich, einfach glücklich ...
Als die Musik zu Ende
war, blieb Robert stehen und sah ihr ernst in die Augen. Noch nie hatte er sie
so angesehen. „Emma“, sagte er fast flüsternd: „Werden Sie meine Frau.“ Das
Licht der Lampe auf dem Verandatisch erhellte eine Hälfte seines Gesichts. Von
seinen Augen konnte sie nur den dunklen Glanz wahrnehmen. Was sollte sie
erwidern? „Ich meine es ernst, Emma.“
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