Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
Dann hörte sie auf zu denken.
15
Am Morgen wurden sie von
der Wärme der Sonne geweckt. Leise, um Robert nicht zu stören, schlüpfte sie
aus dem Bett und trat hinaus ins Freie. Die Berge lagen noch im Schatten, und
über der Ebene schwebte die Stille des Morgens. Tief sog sie die Luft ein und
dachte, dass die vergangene Nacht eine der glücklichsten und erfülltesten ihres
ganzen Lebens gewesen war. Sie steckte die Hand in die Tasche ihres Kleides und
stieß auf einen Widerstand. Zuerst stutzte sie, aber dann erinnerte sie sich an
das Kuvert, das Robert ihr gestern gegeben hatte, und zog es heraus. Er war an
Mrs. Emma Schott, Neumünster, adressiert; Absender waren Mr. und Mrs. Shaw.
Neugierig riss sie das Kuvert auf.
Sehr verehrte Mrs. Schott,
gerade haben wir vom Ableben Ihres
Mannes erfahren und sprechen Ihnen unser tiefstes Mitgefühl und aufrichtiges
Beileid aus. Wenn man einen nahe stehenden Menschen verliert, so stirbt ein
Teil von einem selbst mit ihm. Wir wünschen Ihnen, dass Sie Trost finden und
mit der Zeit über diesen Schicksalsschlag hinwegkommen.
Vielleicht haben Sie schon Pläne für
Ihre Zukunft, vielleicht wollen Sie auch wieder in Ihre Heimat zurück, dann
verstehen Sie diesen Brief bitte nicht als aufdringlich.
Aber falls Sie in Erwägung ziehen
sollten, in diesem Land zu bleiben, dann möchten wir Ihnen auch im Namen der
übrigen Einwohner von Stuart folgenden Vorschlag unterbreiten: Dr. John Flynn,
der das Krankenhaus in Marree aufgebaut hat, verfolgt seit Jahren ähnliche Pläne in Stuart. Nur leider
wurde das Bauvorhaben durch den Krieg und die damit verbundenen Lieferengpässe
von Gerät aus Europa immer wieder unterbrochen. Der Krieg ist zum Glück vorbei;
möge es niemals wieder zu solch schrecklichen Kämpfen zwischen den Völkern
kommen. Die Lieferengpässe sind behoben, und die Arbeiten an einem der
außergewöhnlichsten Krankenhäuser des Kontinents können wieder aufgenommen
werden. Wir möchten Sie nicht mit technischen Kleinigkeiten langweilen, doch
bitte gestatten Sie uns, auf die ganz besondere Belüftungstechnik hinzuweisen,
die dieses Haus haben wird. Die Hitze ist ja schon für gesunde Menschen kaum
auszuhalten, wie soll es dann erst Kranken und Neugeborenen ergehen?
Dr. Flynn sucht händeringend nach
fähigen Mitarbeitern und Krankenschwestern wie Sie.
Das Krankenhaus hätte einen großen
Einzugsbereich, bis über Neumünster hinaus. Sicher wären auch Reisen notwendig,
zudem plant Dr. Flynn einen Flugservice zu entlegenen Krankenstationen, und in
den nächsten Jahren wird die Eisenbahn von Oodnadatta bis nach Stuart
weitergebaut sein. Liebe Frau Schott, wir brauchen dringend solche Menschen wie
Sie, wir, die Weißen -, aber auch die Aborigines, die ohne unsere Hilfe doch
ganz verloren wären.
Hochachtungsvoll
Alasdair und Margaret Shaw
Verwirrt sah sie auf,
blickte zu den Bergen, die sich langsam rötlich färbten. Die Nacht hatte sie
doch mit Glück erfüllt, oder etwa nicht? Warum aber versetzte diese Nachricht
sie dann in eine solche Erregung? Warum wurde sie plötzlich von dieser Unruhe
erfasst? Sie sog den Duft der Wüste ein und schloss die Augen. Als sie sie
wieder öffnete, entdeckte sie vor sich im roten Sand die Spur eines Lizards:
eine lange, gewundene Rinne, die von sternartigen Abdrücken der Füße begleitet
wurde. Wenige Meter weiter verlor sich die Spur auf dem harten, trockenen Boden
...
„Guten Morgen!“ Roberts
Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Sie drehte sich um und sah in sein Gesicht.
Er lächelte und blinzelte gut gelaunt in die Morgensonne. Sein Haar war glänzte
feucht. Wortlos gab sie ihm den Brief. Sie bemerkte, wie sich die Falten auf
seiner Stirn vertieften. Schließlich blickte er auf und gab ihr den Brief
zurück. Sie schwiegen lange, bis er sich schließlich räusperte.
„Und? Was wirst du tun?“
Sie faltete den Brief zusammen und steckte ihn wieder in die Tasche. Sie wusste
keine Antwort. Die Sonne wurde heißer und heller. „Es ist sicher eine große
Aufgabe, das Krankenhaus in Stuart“, sagte er auf einmal und steckte die Hände
in die Hosentaschen. „Ja“, erwiderte sie, ohne ihn anzusehen. Der Ruf eines
Vogels drang zu ihnen und verstummte wieder. Was sagte ihr Herz? Was fühlte
sie? Sie deutete vor sich auf die Erde. „Siehst du die Spur dort?“ „Ja, ein
Lizard.“ „Wohin führt sie?“ Er zuckte die Schultern. Der Lizard läuft mal dahin
und mal
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