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Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)

Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)

Titel: Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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nickte
    stumm. „Ach, Emma ...“, flüsterte er, „meine arme kleine Emma ...“ Da konnte
    sie sich nicht mehr zusammenreißen und schluchzte. Wie lange war das her, das
    ihr Vater das zu ihr gesagt hatte ... meine kleine Emma ... und er sie
    in seine Arme genommen und so lange gehalten hatte, bis sie aufgehört hatte zu
    weinen. „Vielleicht“, hörte sie Pauls Stimme wieder, „verlangen wir einfach zu
    viel von uns.“ Ja, vielleicht – dennoch ... Sie rang die Tränen nieder
    und sagte: „Ich habe ihnen noch nicht einmal beistehen können, als sie
    starben.“ „Ja ...“ Diesmal war er es,
    der nicht weitersprach.
    Das gleichmäßige Brummen
    der Turbinen, das Zischen des Wassers am Bug, die gedämpfte Musik aus dem
    großen Saal – das tröstete sie, machte ihr klar, dass sie sich auf dem
    Weg in ein anderes Leben befand, in ein Leben, in dem sie etwas wieder gutmachen
    konnte. Schweigend standen sie noch eine Weile an der Reling, bis er sie auf
    einmal fragte, ob sie hinunter in die Kabine gehen sollten. Sie schlenderten
    langsam über das Deck zur Treppe.
    Er schaltete das Licht
    nicht an. Nur durch das Rund des Bullauges fiel blasses Mondlicht. Ohne Eile
    zog er sie aus, entkleidete sich. Als sie seine warme Haut auf ihrer spürte,
    rann eine Träne über ihre Wange. „Weine nicht ...“, flüsterte er und küsste
    ihre Träne. Noch nie hatte er sie so zärtlich und verständnisvoll geliebt wie
    in dieser Nacht. Noch nie hatte sie sich so tief mit ihm verbunden und von ihm
    verstanden gefühlt. Als sie in seinen Armen einschlief, wünschte sie, sie
    könnte ihr ganzes Leben mit ihm auf diesem Schiff verbringen.

10
    Am nächsten Morgen um
    halb neun herrschten schon dreißig Grad. Der Fahrtwind war kaum zu spüren. Die
    meisten Passagiere trieb es, trotz der kurzen Nacht aus ihren zumeist engen und
    heißen Kabinen. Paul war bei seinem morgendlichen Spaziergang an Deck, den er
    seit dem Suezkanal zu einem wichtigen Punkt seines Tagesprogramms gemacht
    hatte, und Emma spielte mit einigen Damen auf dem hinteren Deck Karten, als ein
    junger Mann mit Schirmmütze aufgeregt herbeigelaufen kam und mit sich
    überschlagender Stimme rief: „Der Deutsche Außenminister ist ermordet worden!
    Walther Rathenau von Rechtsradikalen ermordet!“ Diejenigen, die verstanden, was
    der Mann sagte, hielten inne. Die anderen, Engländer zumeist, merkten erst an
    der Reaktion ihrer Nachbarn, dass die Nachricht ernst sein musste. „Ach“, stöhnte
    die Dame neben Emma, „wir können froh sein, dass wir so weit weg sind!“ „Was
    reden Sie da?“, erwiderte eine andere, „und was ist, wenn Sie wieder zu Hause
    sind?“ Emma legte die Karten weg und entschuldigte sich. Sie machte sich auf
    die Suche nach Paul. Hatte dieses Attentat Auswirkungen auf ihre Arbeit in
    Australien? Sie erinnerte sich an das, was Ottmar Friedrich über die Lager
    gesagt hatte, in die man die Deutschen im Krieg gesteckt hatte. Sie eilte über
    das Deck und stieß beinahe mit einer Gruppe Menschen zusammen, die sich
    aufgeregt zusammendrängten. „Hilfe! Ein Herzanfall!“, rief jemand. „Einen
    Arzt!“ Emma drängte sich an zwei Männern vorbei und erschrak. Am Boden lag
    Ottmar Friedrich, rang nach Atem, die Hand auf die linke Brust gepresst. „Frau
    Pastor!“, keuchte er. Sein Gesicht war blass und schweißig. „Sagen Sie Hilde,
    dass ...“ „Ganz ruhig, Herr Friedrich!“ Sie kniete sich neben ihn und öffnete
    mit raschen Griffen sein Hemd. Ihre Finger zitterten nicht im Mindesten, sie
    war jetzt wieder Krankenschwester. „Heben Sie seinen Oberkörper an, los, und
    die Arme!“, befahl sie einem Mann, der in der Gruppe stand. „Los!“ Ohne
    Widerspruch tat er, was sie ihm sagte. Sie tastete den Puls. Er war
    unregelmäßig und flimmerte. „Ich hab’ sie mehr als alles andere ...“, flüsterte
    er keuchend. „Herr Friedrich, atmen sie ganz tief ein und aus.“ „... geliebt,
    und sie soll nicht mehr heimfahren.“ „Sprechen Sie jetzt nicht.“ Aus seinem
    Gesicht war jegliche Farbe gewichen, nur seine Lippen waren bläulich und
    zitterten. Bitte, lieber Gott, betete sie, lass ihn nicht sterben! „Ganz ruhig,
    atmen Sie ganz ruhig ein und aus.“ „Und Sie, Frau Schott“, seine Stimme war nun
    ganz leise geworden, seine Augen suchten sie, „Sie müssen auf ihre eigene Kraft
    ...“ Mitten im Satz verstummte er, seine Augen wurden starr, sein Körper
    erschlaffte. Sie fühlte keinen Puls mehr. Sie riss seine Arme

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