Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
worauf man sich einlässt, sonst würde man viele Dinge gar nicht erst
tun, oder, Frau Schott?“ Er lächelte herausfordernd, und Emma errötete. Sie
warf einen Blick auf Paul, doch ihm schien nichts Anstößiges in ihrem
Wortwechsel aufzufallen. Wieso auch, dachte sie. „Aber Australien“, Max Jacobs
schüttelte den Kopf. „Was wollen Sie ausgerechnet dort, Frau Schott?“ Sie griff
nach Pauls Hand. „Jeder von uns hat seine Aufgabe, Herr Jacobs“, antwortete
Paul auf einmal in unterkühltem Ton. „Ihnen noch einen angenehmen Abend.“
Dankbar und erleichtert ließ sie sich von Paul weiterziehen. Er verlor kein
weiteres Wort über die Begegnung.
Ein paar Tage später
traf sie Max Jacobs allein. Paul war früh zu Bett gegangen, und sie wollte noch
ein wenig den Nachthimmel genießen. Sie lehnte an der Reling wie an jenem
Abend, als Max Jacobs sie geküsst hatte. Plötzlich stand er neben ihr. „Sie
müssen nicht erschrecken!“ Er hob lachend die Hände, seine weißen Zähne
blitzten. „Ich tue Ihnen nichts.“ Emma ärgerte sich. Er machte sich über sie.
„Ich wollte mich nur verabschieden. Ich gehe morgen in Bombay von Bord.“ Er
lehnte sich mit dem Rücken an die Reling, sodass er ihr ins Gesicht sehen
konnte. „Waren Sie schon mal in Indien? Es ist ein faszinierendes Land. Die
Farben, die Gerüche – wenn Sie einmal eine Bestattung miterleben würden!
Sie müssten sehen, wie die Menschen in den Ganges steigen, Sie müssten die
Tempel sehen, die Schönheit der Menschen. Emma“, seine Stimme war lauter
geworden. Seit wann nannte er sie Emma? Er räusperte sich und nahm eine stramme
Haltung an. „Sehen Sie mich an!“ Warum tat sie, was er sagte? „Kommen Sie mit
mir! Lassen Sie uns die Welt erobern! Es gibt so viel Schönes da draußen!
Lernen Sie mit mir die Schönheit der Welt kennen, nicht ihr Elend!“ „Aber“, brachte
sie hervor, „ich bin doch verheiratet!“ Er machte eine wegwerfende Geste und
lachte. „Sie könnten sich scheiden lassen.“ Sie betrachtete ihn. Meinte er das
wirklich ernst? Glaubte er tatsächlich, sie würde Paul einfach verlassen und
mit ihm ... Sie suchte nach dem passenden Wort ... durchbrennen? Sie hätte ihm
eine Ohrfeige verpassen sollen! Doch sie nahm sich zusammen und sagte mit
fester Stimme: „Herr Jacobs, ich liebe meinen Mann, und ich werde mein Leben
mit ihm teilen. Und jetzt lassen Sie mich bitte allein.“ Max Jacobs sah sie
noch eine Weile an, dann ließ er die Schultern fallen, steckte die Hände in die
Hosentaschen und sagte leise: „Schade. Ich habe es wirklich ernst gemeint. Und
ich meine selten etwas ernst.“ Sie erwiderte nichts, und er drehte sich um und
ging langsam davon.
Am nächsten Tag legte
die Britannia im Hafen von Bombay an. Emma ging nicht an die Reling, um
dem Treiben am Kai zuzusehen oder gar Max Jacobs auf Wiedersehen zu sagen. Sie
hatte lange über seinen nächtlichen Vorschlag nachgedacht. Nicht, weil sie ihre
Entscheidung in Frage stellte, sondern weil ein Mann sie zum ersten Mal gefragt
hatte, ob sie mit ihm durchbrennen wolle. Sie blieb unter dem Vorwand,
Kopfschmerzen zu haben in ihrer Kabine. Irgendwann klopfte es an der Tür, und
ein Steward händigte ihr ein braunes Kuvert aus. Zuerst dachte sie, Vera oder
ihre Mutter hätten ihr geschrieben, doch sie konnte keinen Absender erkennen.
Sie riss den Umschlag auf, und ein schmales Büchlein in einem dunkelroten
Einband kam zum Vorschein. Im Morgentau lautete der Titel in Goldlettern
- Max Jacobs . Mit schwungvoller Hand hatte er auf die erste Seite eine
Widmung geschrieben.
Für Emma
Es spiegeln die
verblassenden Sterne
das funkelnde
Licht von jenen Nächten,
in denen man
glücklich war für einen Moment. Max Jacobs, 1922
Die Zeilen beschworen
den Abend wieder herauf, den sie so sehr zu verdrängen versucht hatte, und
erinnerten sie an ihre Untreue. Ja, für einen kurzen Moment war sie wirklich
glücklich gewesen, ganz kurz und mit einem fremden Mann ... Entschieden klappte
sie den Deckel zu und steckte das Buch zwischen zwei Blusen, die sie erst auf
der Missionsstation auspacken wollte. Sicher, sie hätte das Buch auch wegwerfen
oder die erste Seite herausreißen können, aber davor schreckte sie zurück. Als
die Turbinen wieder zu stampfen begannen und sie durch das Bullauge das Schiff
vom Kai ablegen sah, fühlte sie sich schon wieder besser.
Wenige Tage später
erreichten sie Ceylon, wo weitere
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