Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
geben, damit der ihn in einen der Postsäcke tat, die im nächsten
Hafen auf ein Schiff in die Heimat umgeladen würden. Ob ihre Mutter den Brief
überhaupt lesen würde? Vielleicht würde sie ihn auch nur überfliegen und ihn
dann in den Müll werfen ... Auf den nächsten Bogen schrieb sie: Liebe Vera . Und dann schilderte sie ihr
die ersten Tage auf See. Den Tanz mit Ottmar Friedrich, die Sonnenauf-und
-untergänge, das Essen im Speisesaal ... Die Begegnung mit Max Jacobs
allerdings deutete sie nur an. Sie war sicher, Vera konnte sich ihren Reim
darauf machen. Ach ja, Max Jacobs – sie sah ihn an diesem Tag nur von
weitem. Sie machte sich nicht bemerkbar, und er zog es sicher auch vor, ihr
nicht zu begegnen.
Während der Reise durchs
Mittelmeer gewöhnte sich Emma nicht nur an das Nichtstun, sie hörte auch auf,
Fragen über die Mission zu stellen. Sie las, lernte Englisch und genoss die
Reise. Wer weiß, dachte sie, ob ich so etwas wieder erleben werde? Das
Missionsinstitut hatte nicht die Absicht, ihnen in den nächsten Jahren eine
Heimreise zu spendieren. Sie hätten viel zu viel auf der Missionsstation zu
tun, und es wäre nicht möglich, ihre Abwesenheit für einen längeren Zeitraum zu
verantworten, hatte Paul ihr gleich zu Anfang erklärt.
Sie und Paul hatten
inzwischen einige Bekanntschaften gemacht. Paul unterhielt sich öfter mit einer
lutherischen Familie aus Oldenburg und mit einem Lehrerehepaar aus Southampton,
das an einer Schule in Bombay arbeiten würde. Emma wechselte hin und wieder ein
paar Worte mit der Schwarzgekleideten, noch immer ohne ihren Namen zu wissen.
Aber es kam nie zu dieser Frage, und offenbar war sie auch nicht wichtig. Auch
die dralle Dame mit dem Pfannkuchengesicht grüßte freundlich und interessierte
sich für Emmas und Pauls Aufgabe. Sie selbst würde in Ceylon von Bord gehen, wo
ihr Mann im diplomatischen Dienst beschäftigt war.
Ottmar Friedrich ging es
wieder etwas besser. Er erschien zum Abendessen, doch sein Appetit hielt sich
deutlich in Grenzen. Er verschmähte alles Fette und trank auch keinen Wein
mehr. Selbst die Zigarre, die er sonst nach dem Abendessen zu einem Cognac
genossen hatte, schmeckte ihm nicht. „Ich glaube, das ist eine besondere Art
von Seekrankheit“, sagte er, wenn die Rede auf seine Gesundheit kam. „Ich habe
immer befürchtet, Hildchen wird krank, aber sehen Sie sich sie an! Das blühende
Leben!“ Hilde Friedrich nahm daraufhin seine Hand und streichelte sie zärtlich.
Um Max Jacobs hatte Emma
stets einen weiten Bogen gemacht, und auch er schien sie zu meiden, bis er
eines Abends plötzlich neben ihr und Paul stand, nachdem sie den Suez-Kanal
hinter sich gelassen hatten und den Sonnenuntergang bewunderten. Er trug einen
leichten weißen Sommeranzug, der zu seinem hellen Haar passte und sein
inzwischen tief sonnengebräuntes Gesicht mit dem spitzbübischen Lächeln
besonders zur Geltung brachte. Sein plötzliches Auftauchen ließ Emma erröten.
Er sah ihr mit schamloser Herausforderung in die Augen. Sie versuchte seinen
Blicken auszuweichen, doch wie gebannt musste sie in seine grünlichen Augen
starren.
Paul hatte offenbar
schon Max Jacobs’ Bekanntschaft gemacht. „Herr Jacobs ist Schriftsteller“,
sagte er arglos. „Sein Verleger hatte ihm vor dem Krieg eine Reise durch
Indien, Ceylon, China und Japan finanziert. Das Buch war ein großer Erfolg,
nicht wahr, Herr Jacobs?“ Max Jacobs winkte ab, ohne Emma aus den Augen zu
lassen. „Tja, aber die Zeiten sind vorbei. Heute ist die kurze Form gefragt.
Diesmal geht es nur nach Indien.“ Er steckte lässig die Hände in die Taschen
seiner weißen Hose. „Heutzutage muss man Journalist sein, nicht Schriftsteller.
Man muss Stellung beziehen. Jeder fragt Sie: Sind sie ein Konservativer oder
ein Kommunist? Tja. Man muss sich anpassen.“ Ein spöttisches Lächeln umspielte
seine Mundwinkel, und Emma glaubte ein Zucken in seinen Augen bemerkt zu haben.
„Ich habe gehört“, sagte er zu Emma, „Sie reisen nach Australien! Was für ein
Land! So groß und leer, man muss sich ja verlieren darin. Haben Sie denn keine
Angst davor?“ In Pauls Gegenwart wurde ihr die Erinnerung an jene Minuten am
Bug noch peinlicher. „Nein“, sagte sie knapp und wusste, wie unhöflich es
klang. Sie hoffte, Max Jacobs würde sich gleich verabschieden. Doch er sagte
mit plötzlichem Ernst: „Manchmal ist es tatsächlich vorteilhafter, nicht zu
wissen,
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