Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
sich nicht einigen, wer das alles
bezahlt und wem sie gehören soll“, hatte Pastor Emig auf dem Bahnhof von
Adelaide gesagt und die knöchernen Schultern gezuckt. „Jetzt haben sie die
Strecke bis Oodnadatta fertig bekommen, aber von dort sind es immer noch
fünfhundert Kilometer bis Stuart, der Stadt in der Mitte des Kontinents. Es
fehlen also nur noch zweitausend Kilometer bis Port Darwin! Das erlebe ich
nicht mehr!“ Dabei hatte er gelacht und mit seinem Stock auf den Boden
gestoßen. Ab Adelaide war der Zug sehr voll gewesen, doch ab Terowie, etwa
zweihundertdreißig Kilometer von Adelaide entfernt, befanden sich - außer ihnen
– Emma, Paul und John Wittling – nur noch eine Mutter mit einem
Säugling und ein junges Ehepaar im Waggon. Seit sie vor zwei Stunden in Port
Augusta umgestiegen waren, saßen Emma und Paul nebeneinander auf der
lederbezogenen Bank. Die meisten der etwa fünfzehn Waggons und Pritschenwagen
– so viele hatte Emma gezählt – waren mit Gütern beladen: mit
Tonnen, Fässern, Eisenstangen, Steinen, Holzbalken. Über manchen Wagen spannten
sich wetterfeste Planen, unter denen sich Berge von großen Kisten auftürmten,
darunter auch ihre Vorräte und ihr Gepäck. Wenn Emma entgegen der Fahrtrichtung
gesessen hätte, dann hätte sie in einer Kurve die lange Kette von Waggons sehen
können, doch auf diesen Platz am Fenster hatte sich John Wittling gesetzt.
Unter den Bänken waren ihre Koffer und der Korb mit dem Proviant verstaut. Denn
die Frauen von Tanunda waren nicht eher zufrieden gewesen, als bis sie
unzählige metallene Boxen mit den köstlichen Resten des großen Willkommenessens
gefüllt und ihnen mitgegeben hatten.
„Sie übernachten zwar
jeden Abend in einer Pension, wo Sie etwas zu essen und auch das Frühstück
bekommen, aber tagsüber müssen Sie doch auch etwas haben!“, hatten sie gemeint,
und Eleanor Ruby hatte ihnen noch einen Beutel mit Äpfeln aus ihrem Garten
mitgegeben. The Ghan , dachte Emma,
ein seltsamer Name für einen Zug aus einer Dampflok und einer nicht enden
wollenden Kette von Waggons. Es war die Abkürzung von „Afghan“, wie Pastor Emig
erklärt hatte. So nannte man kurzerhand die Immigranten aus Pakistan,
Nordindien und Afghanistan, aber auch aus der Türkei und Ägypten, die auf
Initiative eines gewissen Samuel Stuckey seit 1866 als Begleiter ihrer Kamele,
die man als Transportmittel nutzen wollte, nach Südaustralien geholt worden
waren. Obwohl es in der Bevölkerung sehr große Vorbehalte gegen die Moslems und
ihre „stinkenden“ Tiere gab, war doch nach kurzer Zeit der Nutzen für das Land
von niemandem mehr bestritten worden. Die Kameltreiber transportierten mit
ihren Tieren alle möglichen Güter – auch Menschen - an die abgelegensten
Orte des kaum besiedelten Kontinents. Die Errichtung der
Überland-Telegrafenleitung, der Bau der Eisenbahn, die Transporte zu und von
den Kohle-, Kupfer-, und Goldminen wären ohne sie kaum zu bewältigen gewesen,
denn Pferde und Rinder konnten weder dreihundert Kilogramm schwere Lasten
tragen noch konnten sie auf Dauer die Hitze von bis zu fünfzig Grad Celsius und
die extreme Wasserknappheit überstehen. Die Kamele aber überwanden schwerst
beladen mit Eisenbahnschwellen, Metallschienen, Eisennägeln, Werkzeug,
Lebensmitteln und Wasservorräten unendlich scheinende Entfernungen, kämpften
sich durch tiefe Sanddünen, durch heiße Ebenen rotschwarzen Eisengesteins,
durch stachliges Spinifex-Land, über schroffe Gebirge, Tag für Tag, oft
wochenlang und ohne eine längere Pause.
Tackeditack-tackeditack-tackeditack-tackeditack ... Das immergleiche Geräusch des
Zuges, wenn die Räder über die Schweißnähte der Schienen rollen, hört sich an
wie das Ticken einer Uhr, dachte Emma und sah zum Fenster hinaus. Die Gegend
hatte sich verändert, war rauer geworden, nichts war mehr von den Weinbergen zu
sehen, die sie im Barossa Valley so überrascht hatten. Über den Himmel spannte
sich eine weiße Wolkenschicht, durch die diffuses Sonnenlicht drang.
Das gleichmäßige Rattern
und Klacken, wenn die Räder über die Schwellen fuhren, ließ wieder jenes vage
Gefühl von Einsamkeit und Ausgeliefertsein in ihr aufsteigen, das sie auf dem
Schiff, nachdem sie den Brief gefunden hatte, zum ersten Mal empfunden hatte.
Letzte Nacht, als Paul sie so angefahren hatte, war es wieder aufgetaucht. Am
Morgen hatte sie versucht, es zu verdrängen, was ihr durch
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