Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
seltsamer
Anblick. Alles war neu: die Weißen in ihrer seltsamen Kleidung, dunklen,
schweren Stoffen, ihre Sprache und ihr Essen. Doch das mochte er am meisten.
Noch nie in seinem Leben war er so oft hintereinander satt geworden. Nach und
nach lernte er alles kennen. Lernte Damper zubereiten, Brot aus Mehl und Wasser
und Backpulver, lernte Tee kochen, er liebte Zucker, lernte, dass man Tieren
das Fell abzog und nur das Fleisch über dem Feuer grillte, nicht das ganze Tier
samt Fell ins Feuer warf, wie sie es taten – und wie sie es immer noch
taten, wenn sie nicht für Weiße kochten.
Bald wurde der alte
Missionar auf ihn, den kleinen Jungen, aufmerksam. Jalyuri war wissbegierig und
hatte eine schnelle Auffassungsgabe. Er lernte ein paar Brocken Deutsch, aber
er lernte auch Englisch, sodass er sich mit den meisten Weißen verständigen
konnte. Als Kind faszinierte ihn besonders die weiße Kirche. Alles, was darin
geschah, hatte etwas Geheimnisvolles. Die Gesänge, die von den Wänden
widerhallten, und die Rituale und Worte des Pastors, die er nicht wirklich
verstand, die ihn aber in ihren Bann zogen, weil sie von einer fremden Welt
erzählten. Auch das Harmonium hatte es ihm angetan. Wie gern hätte er ihm einen
Ton entlockt, aber es war strengstens verboten, sich dem Harmonium zu nähern,
und die Frau des Missionars hütete es wie ihren Augapfel. Nach ein paar Jahren
auf der Missionsstation war er getauft worden. Es war eine feierliche Zeremonie
ohne Schmerzen gewesen. Anders als die Initiation in ihrem Stamm. Mit Jalyuri
waren noch drei andere Jungen getauft worden. Zuerst waren einige Männer
dagegen gewesen, die Kinder taufen zu lassen. Aber schließlich hatten sie
nachgegeben: Es könnte ja durchaus auch Vorteile haben, einen solch mächtigen
Gott, wie ihn die Weißen hatten, auf ihrer Seite zu wissen, hatten sie gemeint.
Jalyuri dachte an
Jungala. Jungala hätte auch schreiben und lesen lernen sollen, doch dann war
alles anders gekommen. Er seufzte und sah auf seine Füße, die sich über die
trockene Erde bewegten und an den weichen, sandigen Stellen einen Abdruck
hinterließen. Die silbrigen Zweige und Blätter der Stachelgrasbüsche warfen
winzige Schatten. Wenn plötzlich Regen käme, dann würde die Wüste erblühen.
Überall auf dem sandigen Boden würden Blumen, saftige Kräuter, Büsche mit
Beeren sprießen. In die vertrockneten Bäume würde wieder Leben zurückkehren,
Blätter würden wachsen und Gräser. Die Frauen würden wieder mit vollen Beuteln
heimkehren und die Männer mit schweren Gürteln voller Lizards, Vögel, Schlangen
und auf den Schultern Kängurus. Die Wasserlöcher wären bis zum Bersten mit
gutem Wasser gefüllt – trotzdem: Es würde nie wieder so werden wie früher
...
Er hob den Blick zum
Himmel. Der schwarze Vogel war verschwunden. Du musst beten, hatte ihm der
Pastor immer wieder gesagt. Gott wird dich hören. Er betete jeden Tag. Wenn es
die anderen nicht sahen. Aber bisher hatte er SEINE Stimme noch nicht gehört,
auch wenn er so oft lauschte. Gott hatte sich an jenem Tag von ihnen abgewandt.
Sie waren von allen Göttern im Stich gelassen worden. Und sie waren selbst von
ihren Ahnen im Stich gelassen worden, weil sie ihr Land verlassen hatten.
Vielleicht lag der Fehler damals bei seinem Vater? Und heute? Würde Jungala
ihm, Jalyuri, irgendwann die Schuld geben für Unglück und Tod? Die Gedanken
machten seinen Schritt schneller und leichter. Er wusste, er könnte noch viel
schneller gehen, wenn er ein Wirinun, ein Medizinmann, wäre. Dann könnte er
seinen Körper verlassen und nur noch Geist sein, dann würde er nur den anderen
Ort denken, und schon wäre er wirklich dort.
Die Sonne sank tiefer. Jalyuri
stieg auf einen Hügel und sah hinunter. Was er entdeckte, erschreckte ihn
nicht. Es war so, wie Nooma-Nooma berichtet hatte. Unter ihm, am Fuß des
Hügels, bogen sich drei langstielige, dürre Eukalyptusbäume. Zwischen ihnen lag
das Wasserloch – und dort hatten die Weißen ihr Lager aufgeschlagen.
Blitzschnell verbarg sich Jalyuri hinter einem Felsbrocken. Drei Männer zählte
Jalyuri, und zweimal so viele Kamele. Einer der Männer hockte am Feuer, die
beiden anderen beugten sich ein paar Schritte entfernt über eine Kiste, an der
Werkzeuge, Pickel und Schaufel lehnten. Sie waren gekommen, um nach Gold zu
suchen, wie Nooma-Nooma gesagt hatte. Jalyuri beobachtete die Männer noch eine
Weile, dann machte er sich
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