Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
Hals. Paul ließ Emma los. „Ich sehe nach,
was draußen los ist!“ Schon hatte er sich umgedreht und war aus dem Abteil gestürzt.
„Paul, sei vorsichtig!“, rief sie ihm noch hinterher, doch er hörte sie nicht
mehr. Ihr Blick blieb an John hängen. Er sah sie an, doch diesmal lächelte er
weder amüsiert noch triumphierend. In seinen Augen glaubte sie eher etwas wie
eine Frage zu lesen. Aber sie konnte die Frage nicht verstehen. Das Kind
brüllte, die Stimme der Mutter war ins Hysterische umgeschlagen, und von
überallher drangen Rufe und Flüche. Emma und John Wittling schienen die
einzigen Menschen im Zug zu sein, die schwiegen. Warum rannte sie nicht auf die
Plattform hinaus wie Paul ...? Sie war doch Krankenschwester. Vielleicht war
jemand verletzt. Warum blieb sie einfach auf dieser Bank in diesem Abteil
sitzen, gegenüber von John Wittling? „Das kommt hier öfter vor“, bemerkte er,
„es ist der Zusammenprall von Luftmassen aus der Wüste und vom Ozean. Dort sind
die Temperaturen extrem unterschiedlich.“ Sie nickte abwesend.
Versunken starrte er zum
Fenster, die Hände im Schoß gefaltet. Warum nur beschäftigte ihn ihre
Anwesenheit so sehr? Er hatte sich nur mit Mühe seiner Lektüre widmen können.
Immer hatte er aufsehen, sie mit einem verstohlenen Blick betrachten müssen.
Die Geste, mit der sie sich das weizenblonde, leicht gelockte Haar aus der
Stirn strich, irritierte ihn jedes Mal, genauso wie das leichte Zucken ihres
Mundes, als fürchte sie sich vor einem Lächeln ... Und ihre aufrechte Haltung
... War sie ihrem Mann gegenüber tatsächlich so unterwürfig? Er nahm eine
Störung zwischen den beiden wahr, ja, schon in Tanunda hatte er es bemerkt,
doch jetzt war es stärker geworden, und das beunruhigte ihn mehr, als ihm lieb
war.
Was dachte dieser John
Wittling? Wie er sie mit seinen dunklen Augen immer wieder ansah ... und gleich
wieder wegsah, wenn sie aufblickte. Vielleicht mochte er sie ja auch nicht.
Emma wandte ihren Blick ab. Der Himmel war wieder heller geworden. Und genauso
plötzlich, wie der Hagelsturm begonnen hatte, hörte er wieder auf. Emma
beobachtete den Heizer, einen langen, dürren Kerl mit einem verschmierten
Overall auf der nackten Haut, wie er sich mit dem Handrücken über sein
rußgeschwärztes Gesicht wischte. Emma stand auf und schob das Fenster auf.
„Sehen Sie sich das an!“ Der Heizer hatte sich gebückt und ein Hagelkorn
aufgehoben. Es war größer als ein Hühnerei. „Können
wir weiterfahren?“, rief Emma hinaus. Breitbeinig stand der Heizer da und
grinste sie an. „Klar, Mam, geht gleich weiter.“ Er kratzte sich unter seiner
Mütze, „wir haben nur da vorn noch ein kleines Problem.“ „Was für ein Problem?“
Er verzog das Gesicht und kratzte sich wieder. „Sehen Sie es sich an.“ Dann
tippte er sich kurz an die Mütze und ging in Richtung Lok davon. Emma drehte
sich zu John um. Der stand auf und sagte: „Sehen wir am besten nach.“
In der schroffen
Berglandschaft wuchsen spärlich silbrig glänzende Bäume auf gelber Erde. Es
nieselte jetzt nur noch leicht. Hinter Emma, die gerade Johns Hand nahm, um von
der Waggon-Plattform hinunterzusteigen, folgte die Mutter mit dem schreienden
Baby im Arm. Beide waren ganz in Weiß gekleidet. Sie muss die Sachen jeden Tag
waschen, dachte Emma flüchtig. Der feine Regen hörte auf. Über ihr flogen die
dunklen Wolken hinweg, als würden sie schon woanders erwartet, und dahinter kam
der klare blaue Himmel zum Vorschein.
Bei der Lokomotive fand sie
Paul. Neben ihm standen ein junger Mann, dessen Frau im Abteil der weiß
gekleideten Mutter saß, der Heizer und der Lokführer, ein schwerer Mann mit
pechschwarzem, aber nur noch spärlichem Haar und im Trägerhemd. Sie alle
starrten auf die Erde. Emma drängte sich zu Paul, und dann sah sie es auch: Ein
braunes Pferd lag mit dem Kopf auf den Schienen. Bewegungslos, die braunen
Augen aufgerissen, in den grauen Nüstern klebte ein Faden geronnenes Blut. Das
braune Fell war unter dem Zaumzeug aufgescheuert, sodass die graue Haut
darunter zum Vorschein kam. Ein Mann mit löchrigem Hut und staubiger dunkler
Jacke kniete daneben. Er schluchzte. Hinter ihnen dampfte und stampfte die
Lokomotive und stieß graue Rußwolken in den sich aufklarenden Himmel. „Warum
ausgerechnet mein Pferd?“, flüsterte der Mann, als er sich zu den Umstehenden
drehte. Sein ausgemergeltes Gesicht war fleckig von
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