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Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)

Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)

Titel: Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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gehofft, wollte ihr eine Chance
    geben, hatte mit sich gerungen, ob sie ihrer Mutter einfach sagen sollte: Ich
    kann doch nichts dafür, dass es so gekommen ist! Schließlich hatte sie nichts
    gesagt. Sie hatte sich eine weitere Enttäuschung ersparen wollen. Sie hätte es
    nicht ertragen, wenn ihre Mutter auch darauf nur die Schultern gezuckt und mit
    diesem leeren Blick aus dem Abteilfenster gesehen hätte.
    Die Möwen standen hoch
    oben in der Luft, bewegten nur hin und wieder ihre Flügel, ließen sich ein
    Stück vom Wind treiben, senkten dann plötzlich den Kopf und stürzten aufs
    Wasser hinunter. Niemals in ihrem Leben war sie mit dem Schiff gefahren. Die Britannia , das hatte Paul ihr erklärt,
    war vor dem Krieg auf einer deutschen Werft gebaut und auf einen deutschen
    Namen getauft worden. Infolge der Reparationsleistungen, die im Versailler
    Vertrag vereinbart worden waren, hatte Deutschland sie an die Briten abführen
    müssen, die sie in Britannia umbenannten und unter britischer Flagge fahren ließen.
    „Verlassen Sie auch Ihre
    Heimat?“ Emma drehte sich um. Die Frau war groß und hager und hatte etwas
    Strenges, das durch ihre schwarze Kleidung und das nach hinten gekämmte und in
    einem Knoten unter einem schwarzen Hut zusammengefasste Haar betont wurde. Man
    hätte sie für eine Wahrsagerin halten können: Eine lange, knochige Nase, hohe
    Wangenknochen und dunkel geschminkte, große Augen beherrschten ihr Gesicht und
    verliehen ihr etwas Fremdes und Geheimnisvolles. Auf ihren Lippen lag
    dunkelroter Lippenstift, und um den schon faltigen Hals trug sie eine
    Perlenkette. Ein kurzes Lächeln glitt über das Gesicht der Frau, ein nicht
    unangenehmes Lächeln, dachte Emma. Doch es war zu kurz, um Vertrauen zu
    gewinnen oder um gleich sympathisch zu wirken. „Europa hat sich doch selbst
    zerstört. Brechen wir auf zu neuen Ufern!“ Sie rollte das R, und ihr Akzent
    erinnerte Emma an einen Patienten, der aus Polen war. Emma wollte nicht über
    den Krieg sprechen. Überall redete man vom Krieg, von Schande und Demütigung.
    Politik war nicht ihre Sache, und die Kriegsjahre waren schlimm genug, sodass
    man sie nicht in den Friedensjahren wieder heraufbeschwören musste. „Reisen Sie
    allein?“, fragte die Dame mit einer auffallend brüchigen Stimme. „Nein, ich bin
    verheiratet“, antwortete Emma und sah stolz auf ihren schmalen goldenen Ring,
    der in der Mittagssonne aufblitzte. „Ich war auch verheiratet.“ Die Dame zog
    die Enden ihrer schwarzen, gehäkelten Stola enger um ihre knochigen Schultern
    und lachte. „Drei Mal sogar. Den Letzten haben sie mir weggeschossen.“ Sie sah
    Emma mit ihren dunkel geränderten Augen an. „Und wissen Sie, was? Jetzt will
    ich keinen mehr.“ Emma wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte, und
    schwieg. „Er war Pianist.“ Sie seufzte und schüttelte den Kopf. „Wie kann man
    nur annehmen, dass ein Pianist einen guten Soldaten abgeben könnte?“ Die Frau
    lachte bitter und tupfte sich mit der Spitze ihrer Stola über die Augen, als
    habe sie sich über ihren Witz so sehr amüsiert, dass sie weinen musste. Sie
    ließ die Stola los, wurde ernst und winkte ab. „Aber ich langweile Sie.
    Verzeihen Sie. Es gibt nichts Langweiligeres als die traurigen Geschichten
    fremder Menschen.“ Emma wollte zu einer Erwiderung ansetzen, wollte ihr
    versichern, dass sie sich nicht gelangweilt fühlte, doch die Frau schien keine
    Antwort zu erwarten und fragte in allzu unbekümmertem Tonfall, als dass er echt
    sein konnte: „Und wohin fahren Sie?“ Noch immer fühlten sich die Namen fremd
    auf ihrer Zunge an, klangen zu unwahr für ihre Ohren: „Nach Adelaide,
    Südaustralien.“ Über das Gesicht der Frau huschte ganz kurz der Ausdruck eines
    Triumphs. „Ich dachte mir gleich, dass Sie nicht zu denen gehören, die nach
    Indien oder Afrika gehen! Suchen Sie sich eine neue Heimat in Australien?“
    Dabei zupfte sie beiläufig an ihrer Stola. Ihre goldenen Armreifen klimperten.
    „Mein Mann ist Missionar, und ich ...“ Weiter kam sie nicht. Ein verschlucktes
    Auflachen. „Missionar?“ Emma verzog keine Miene. Nicht sie, diese Dame da hatte
    sich gerade eine Blöße gegeben. „Missionar?“, wiederholte die Frau, ernst
    geworden. „Glauben Sie denn tatsächlich noch an das Gute im Menschen, nach ...
    nach allem, was passiert ist? Die Schlachtfelder voller verstümmelter Leichen,
    das Giftgas ...?“ Natürlich hatte Emma sich diese Frage auch gestellt.

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