Das Leuchten des Himmels
entschlossen oder dumm genug bist, hinaus auf einen Gletscher zu steigen, um ein Kind zu retten, das dir nie begegnet ist. Und du bist weitsichtig genug, dich im Restaurant zu erkundigen, wie Meg ihr Steak bevorzugt. Meine Hunde mögen dich. Hilf mir hier raus, Chief.«
Er streckte die Hand aus und berührte ihr Haar, strich leicht über das feuchte Schwarz. »Wann hast du ihn das letzte Mal gesehen?«
»Im Februar 1988. Am sechsten Februar.«
»Weißt du, wohin er ging?«
»Er sagte, er wolle ein paar Jobs machen. Hier in Anchorage, könnte ich mir vorstellen, oder oben in Fairbanks. Er und meine Mutter hatten sich wegen Geld und einiger anderer Dinge gestritten. Das war typisch. Er meinte, er werde ein paar Wochen wegbleiben. Er kam nie zurück.«
»Hat deine Mutter eine Vermisstenmeldung aufgegeben?«
»Nein.« Dann zog sie ihre Stirn kraus. »Jedenfalls nicht, dass ich wüsste. Wir gingen davon aus – jeder ging davon aus -, dass er einfach auf und davon war. Sie hatten also gestritten«, fuhr sie fort, »möglicherweise heftiger als sonst. Er war rastlos. Selbst ich konnte das sehen. Er war nicht das Salz der Erde, Nate. Er gehörte nicht zu den Verantwortungsvollen, obwohl er stets gut zu mir war und es uns an nichts Wichtigem fehlte. Charlene reichte das nicht, und deshalb stritten sie.«
Sie beruhigte sich wieder, aß weiter, weil es da war. »Er trank, er rauchte Dope, er spielte, wenn ihm danach war, arbeitete, wenn er Lust dazu hatte, und faulenzte, wenn er das lieber tat. Ich liebte ihn – eventuell gerade deswegen. Er war dreiunddreißig, als er an diesem Nachmittag aufbrach, und wenn ich jetzt mit meiner Erfahrung zurückblicke, verstehe ich, dass er bei dem Gedanken,
dreiunddreißig zu sein, ausgeflippt sein muss. Vater eines halb erwachsenen Mädchens und Jahr für Jahr mit derselben Frau zusammen zu sein. Vielleicht befand er sich an einem Wendepunkt, weißt du? Vielleicht beschloss er, diese Winterbesteigung als eine Art letzte Jugendtorheit mitzumachen – oder nie mehr zurückzukehren. Doch diese Entscheidung hat ihm ein anderer abgenommen.«
»Hatte er Feinde?«
»Wahrscheinlich, aber ich könnte keinen benennen, der ihm was Böses wollte. Er brachte die Leute gegen sich auf, aber nichts Schlimmeres.«
»Was ist mit deinem Stiefvater?«
Sie stach ein paar Mal mit ihrer Gabel in den Salat. »Was soll mit ihm sein?«
»Wie bald nach dem Verschwinden deines Vaters hat Charlene geheiratet? Wie hat sie die Scheidung betrieben?«
»Erstens brauchte es keine Scheidung. Sie und mein Vater waren nicht verheiratet. Er glaubte nicht an die durchs Gesetz geregelten Ehebande, blabla. Sie heiratete den alten Hidel etwa ein Jahr danach, ein bisschen eher vielleicht. Aber solltest du dir vorstellen, dass Hidel auf den No Name gestiegen ist und einen Eispickel in die Brust meines Vaters gerammt hat, dann vergiss es. Er war achtundsechzig und hatte fünfzig Pfund Übergewicht, als Charlene ihn sich angelte.«
Gleich darauf zog sie sich die Salatschüssel heran und aß. »Der rauchte wie ein Schlot. Er kam kaum die Treppen rauf, geschweige denn einen Berg.«
»Wer hätte deinen Vater beim Bergsteigen begleiten können?«
»Herrje, Nate, jeder. Jeder, der diesen Kick haben wollte. Denk doch mal an die Jungs von heute. Lass ein bisschen Zeit ins Land gehen, und sie reden über das, was da oben passiert ist, als wär’s eins der aufregendsten Erlebnisse ihres Lebens. Bergsteiger sind verrückter als Buschpiloten.«
Als er nichts darauf erwiderte, aß sie nach einem kleinen Seufzer noch etwas Salat. »Er war ein guter Bergsteiger, hatte hier einen guten Ruf. Womöglich hatte er einen Job angenommen – als Bergführer für eine Winterbesteigung. Oder er trieb sich mit ein
paar Kumpels und ähnlich gesinnten Wahnsinnigen herum und beschloss, dem Tod ins Antlitz zu furzen.«
»Hat er je was Stärkeres als Gras oder Hasch genommen?«
»Gut möglich. Auch wahrscheinlich. Charlene müsste das wissen.« Sie rieb sich die Augen. »Scheiße. Ich muss es ihr sagen.«
»Meg, war einer von den beiden, solange sie zusammen waren, vielleicht noch mit jemand anderem befreundet?«
»Wenn das die feine Art ist, mich zu fragen, ob sie herumgevögelt haben – ich weiß es nicht. Frag sie.«
Sie entglitt ihm. Ihre Wut und ihre Ungeduld würden in Kürze eine Befragung unmöglich machen. »Du sagtest, er hat gespielt. Ernsthaft?«
»Nein. Ich weiß es nicht. Nicht dass ich je davon gehört hätte. Einen
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