Das Leuchten des Himmels
nachschaute, als sie wegflog. Sie löschte es aus ihrem Gedächtnis, löschte alles aus und stieg auf über die Baumwipfel, an den Rand des Himmels.
Erst als sie die Rauchwolke aus ihrem Kamin aufsteigen sah und in den seidigen Geschossen, die über den Schnee auf den See zujagten, ihre Hunde erkannte, spürte sie, wie es ihr die Kehle zuschnürte.
Erst als sie die Gestalt aus ihrem Haus treten und bedächtig der Fährte der Hunde folgen sah, spürte sie, wie ihr die Tränen in die Augen schossen.
Ihre Hände fingen zu zittern an, und sie hatte Mühe, sie ruhig zu halten und zu landen. Da wartete der Mann auf sie, der die Stelle ihres Vaters eingenommen hatte, als ihr eigener weggegangen war.
Sie stieg aus und hatte Mühe, ihre Stimme unter Kontrolle zu halten. »Ich hab dich erst in ein, zwei Tagen zurückerwartet.«
»Etwas hat mir gesagt, ich solle jetzt kommen.« Er musterte ihr Gesicht. »Es ist etwas passiert.«
»Ja.« Sie nickte und bückte sich, um ihre entzückten Hunde zu begrüßen. »Es ist etwas passiert.«
»Komm rein und erzähl es mir.«
Erst als sie drinnen war im Warmen und er ihr einen Tee aufgebrüht und ihren Hunden Wasser gegeben und ihr kommentarlos zugehört hatte, brach sie zusammen und weinte.
11
Tagebucheintrag 18. Februar 1988
Ich stand über den Wolken. Das ist für mich der entscheidende Augenblick jeder Besteigung. Alle Erschöpfung, der Schmerz, die schieren Kältequalen sind wie weggewaschen, wenn du auf dem Gipfel stehst. Du bist wieder geboren. In dieser Unschuld gibt es keine Angst vor dem Tod oder vor dem Leben. Es gibt keinen Ärger, kein Leid, keine Geschichte und keine Zukunft. Es gibt nur diesen Augenblick.
Du hast es geschafft. Du lebst.
Wir tanzten auf dem jungfräulichen Schnee, fast viertausend Meter über dem Boden, und die Sonne stach uns in die Augen, und der Wind spielte unser verrücktes Lied. Unsere Schreie klatschten gegen den Himmel und hallten zurück, und unsere Unbesonnenheit wirbelte in den wogenden Ozean der Wolken.
Als Darth sagte, wir sollten springen, hätte ich fast den Sprung gewagt. Teufel noch mal. Wir waren doch die Götter hier.
Es war ihm ernst. Es war ein Schock – beinahe Angst – zu realisieren, dass es ihm ernst war. Lass uns springen. Lass uns fliegen! Offenbar hatte mein Kumpel zu viele Tabletten eingeworfen. Ein bisschen zu viel Speed, das ihn aufputschen sollte für den Endspurt.
Er packte tatsächlich meinen Arm und wollte mich herausfordern. Ich musste mich und ihn vom Rand wegziehen. Er verfluchte mich dafür, aber er lachte dabei. Wir lachten beide. Wie wahnsinnig.
Er sagte etwas recht Komisches – aber es war der Ort dafür, würde ich sagen. Ließ sich unter sprudelndem Gelächter gehässig über mein Glück aus. Dass ich mir die tollste Frau von ganz Lunacy geschnappt habe und herumsitze und die Tage vergeude, während sie die Arbeit mache. Komme und gehe, wie es mir passe, und nicht nur eine Hure gebumst und im Hinterzimmer einen großen Treffer gelandet habe, sondern jetzt auch noch auf dem Gipfel der Welt stehe, und das nur, weil ich mir das verflixt noch mal in den Kopf gesetzt habe.
Und jetzt wolle ich nicht mal springen.
Die Dinge würden sich ändern, das sagte er mir jedenfalls. Alles würde eine andere Wendung nehmen. Er würde sich eine Frau nehmen, auf die andere Männer scharf seien, er werde groß rauskommen. Er werde auf großem Fuß leben.
Ich ließ ihn stehen und schmoren. Der Augenblick war viel zu schön für Kleinlichkeiten.
Mein wahnsinniger Überschwang ging in Frieden über – vollständigen Frieden. Wir sind keine Götter hier, nichts weiter als Menschen, die sich ihren Weg auf einen weiteren Gipfel hoch gekämpft haben. Ich weiß, wie bedeutungslos vieles in meinem Leben war. Aber das nicht. Das hier prägt mich.
Wir haben den Berg nicht erobert, wir sind mit ihm eine Verbindung eingegangen.
Ich denke, ich könnte ein besserer Mensch sein, weil ich das getan habe. Ein besserer Partner, ein besserer Vater. Ich weiß, dass einige der Anschuldigungen Darths der Wahrheit entsprechen. Ich habe nicht alles verdient, was ich habe, nicht so wie diesen Augenblick. Ich weiß, dass mich das Verlangen überkommt, mehr sein zu wollen, als ich in diesem peitschenden Wind stehe und auf eine Welt voller Schmerz und Schönheit hinabsehe, verschleiert von Wolken, die mich in Versuchung führen, durch sie hindurchzutauchen und eilends zurückzukehren in diesen Schmerz und diese Schönheit.
Seltsam,
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