Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)
geliebt. Und gevögelt.
Daran denkst du jetzt aber nicht im Ernst, sagte Miriam.
Doch, sagte er.
Sie trug die Hose mit den hundert Beintaschen, und als er darüberstrich, dachte er, was hat sie da in den Taschen? Sie waren prall gefüllt, als hätte sie Zeitungspapier hineingestopft. Aber es spielte keine Rolle, er vergaß es einfach, sein Ziel war ihr Gürtel. Er löste ihn, und während Chargul die Räder in die Schlaglöcher der Straße fuhr, von der Martens nicht wusste, wohin sie führte, setzte Miriam sich auf ihn. Sie hielt sich an seinen Schultern fest, und das Quietschen der Stoßdämpfer bekam eine neue Bedeutung. Sie lachten darüber, und bald hörten sie es nicht mehr.
Holz
Die Fahrt dauerte lange. Miriam schlief in seinem Arm, manchmal zuckte sie, dann hielt er sie fester im Arm, damit sie nicht erwachte.
Eine Zigarette. Martens sehnte sich danach, aber er hatte seine Zigaretten an den mit dem schwarzen Turban verloren. Dann wenigstens ein paar Zeilen Rilke. Er zog mit der freien Hand das Buch aus seiner Umhängetasche. Unter der Plane war es gerade noch hell genug, um zu lesen. Er schlug das Buch irgendwo auf.
Du, der ich’s nicht sage.
Es war eines der Steinbruchgedichte, wie er sie nannte. In den meisten Rilke-Gedichten sprachen ihn nur bestimmte Zeilen an. Wie aus einem Steinbruch holte er sich das heraus, was für ihn von Wert war, oder vielleicht das, was er begriff.
Sieh dir die Liebenden an,
wenn erst das Bekennen begann,
wie bald sie lügen.
Sie fuhren seit Stunden. Die Fahrt war zuerst holprig gewesen, viel Geschaukel und viele Stöße. Danach hatte der Wagen sich beruhigt, weil sie auf einer asphaltierten Straße gefahren waren. Einer stark befahrenen Straße, man hatte das Schnauben von Lastwagen gehört, ihre Signalhörner. Und es war kühler geworden, sie fuhren ins Gebirge. Eine Passstraße. Seit einiger Zeit rumpelte der Wagen wieder, die Stoßdämpfer wippten. Sie fuhren durchs Gelände abseits der Hauptstraße. Es war jetzt unter der Plane stockdunkel.
Mit einem Ruck kam der Wagen zum Stehen, Martens hörte das Ratschen der Handbremse.
Eine Tür wurde zugeschlagen.
Miriam erwachte.
Chargul schlug den hinteren Teil der Plane hoch und sagte etwas.
Es war eine Mondnacht. Das Plätschern von Wasser. Miriam zog sich den Tschador über, und sie stiegen aus, Miriam behänder als er, er war eingerostet. Steif kletterte er von der Ladefläche, er musste zuerst einmal sein Kreuz durchdrücken, die Beine an den Boden gewöhnen. Er hatte Hunger, Lust auf eine Zigarette, Lust auf Wein, Lust, jünger zu sein, ihn konnte das Weltall über ihm nicht beeindrucken. Miriam schaute hinauf, die Wucht und Tiefe des Sternenhimmels … Sie sagte, das ist das All, ich sehe das All!
Chargul holte den Sack mit den Blutflecken von der Ladefläche. Er schüttelte zwei Hähnchen auf den Boden, sie waren noch ungerupft. Was für eine formidable Bewirtung!, dachte Martens und begann Holz zu sammeln. Entlang des schmalen Flusses wuchsen Sträucher, die Äste waren dünn, ließen sich aber dennoch nicht leicht brechen, sie waren zu saftig. Chargul hielt ihm ein Messer hin.
Mana na, sagte Martens, und Chargul nickte und ging zu den Hähnchen zurück, um sie zu rupfen.
Selbst mit dem Messer war es schwierig, die zähen Äste zu schneiden, es kostete Kraft, Martens geriet ins Schnaufen. Er schrieb das der Höhe zu, sie befanden sich bestimmt auf über 2000 Metern, die Luft war wie kaltes Glas. Ringsum Bergwände, die im Mondlicht eine große Stille ausstrahlten. Von der Straße war nichts zu sehen. Aber manchmal glaubte Martens Motorengeräusche zu hören, weit entfernt. Die Straße musste ja in der Nähe sein. Chargul war von ihr abgefahren, um im Schutz der Felsen, hinter denen er den Wagen abgestellt hatte, die Nacht zu verbringen. Jetzt saß er ein paar Schritte vom Fluss entfernt in einem dunklen Gewölk, wenn der Wind in die gerupften Federn blies. Miriam in ihrem schwarzen Tschador lehnte sich an den Wagen und war untätig. Martens säbelte mit dem stumpfen Messer an den Sträuchern herum. Er fror, er war zu dünn angezogen, ein weißes Hemd unter einem dünnen, sandfarbenen Mohair-Pullover, es sah gut aus, aber es wärmte nicht, trotz der Wetterjacke, die er darübertrug. Dieser Pullover hatte ihn schon oft nicht gewärmt, dennoch hing er sehr an ihm, auf vielen Reisen hatte er in ihm gefroren, vor allem in Wüstengegenden nachts, einmal in der Westsahara, als er Frente-Polisario-Kämpfer
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