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Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Titel: Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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Fahrersitz, in ihrem schwarzen Tschador war sie in der Dunkelheit ein Schatten, sie sagte, schläft er?
    Ja, sagte Martens. Du hast es schön warm hier.
    Du kannst aber nicht hier schlafen, sagte sie. Ich möchte keinen Ärger mit ihm.
    Ich will mich nur aufwärmen, sagte Martens. Wohin bringt er uns eigentlich? Hat er es dir gesagt?
    Nein.
    Warum gehst du eigentlich ein solches Risiko ein?, fragte er. Du weißt nicht, wohin er uns bringt, ob du ihm vertrauen kannst, aber du lässt dich darauf ein. Warum? Wegen des Honorars? Das kann ich mir nicht vorstellen. Du hast einen kleinen Sohn, den du sehr liebst, du würdest doch nicht für zweitausend Euro Honorar dein Leben aufs Spiel setzen.
    Miriam schwieg, und er sagte, Chargul weiß, dass wir zehntausend Dollar dabeihaben. Das ist mehr Geld, als er in einem halben Leben verdienen kann. Es ist so viel Geld, dass ihm schwindlig wird, wenn er daran denkt. Und es macht ihn wütend. Warum haben die Kuffar so viel Geld und ich nicht? Warum gestattet Gott ihnen, es auf ehrlichem Weg zu verdienen, während ich so viel Geld nur bekommen kann, wenn ich töte und raube? Vielleicht bringt er uns heute Nacht um, Miriam. Du weißt, dass das möglich wäre. Und für dich steht mehr auf dem Spiel, du bist in einer anderen Situation als ich. Du trägst die Verantwortung für ein fünfjähriges Kind. Ich trage nur Verantwortung für mich selbst. Meine Tochter ist erwachsen, sie führt ihr eigenes Leben, sie ist glücklich in ihrem Beruf und weniger glücklich in ihrem Privatleben, soweit ich das beurteilen kann. Aber unter dem Strich geht es ihr gut. Wenn Chargul mich heute Nacht tötet, wird sie sehr traurig sein, aber es wird ihr Leben nicht ändern. Aber das Leben von Sinan würde sich völlig ändern, wenn dir hier etwas passieren würde. Das weißt du. Und trotzdem bist du hier. Sitzt hier mit mir irgendwo in den afghanischen Bergen, und hinten auf der Ladefläche schläft ein Talib. Nimm’s mir nicht übel, Miriam, aber ich möchte jetzt darüber sprechen. Ich möchte wissen, was auf mich zukommt. Was ist so wichtig, dass du dieses Risiko eingehst?
    Sie lehnte sich an ihn.
    Nimm mich in den Arm, sagte sie.
    Eine Weile saßen sie schweigend. Es wurde kalt, und Miriam schaltete den Motor ein.
    Vor einem Jahr, sagte sie, fuhren wir zum Müggelsee. Mein Vater, Sinan und ich.
    Sie erzählte: Ihr Vater tollte mit Sinan im Wasser herum. Es war ein heißer Tag, ihr Vater trug im Wasser eine weiße Baseballmütze zum Schutz vor der Sonne. Als er nach langem Spiel mit Sinan aus dem See stieg, war sein Gesicht so weiß wie die Mütze. Ihr Vater kniete sich auf dem Badetuch hin und stützte sich mit den Händen ab. Wir spielen Pferd und Reiter!, rief Sinan, und er kletterte auf den Rücken ihres Vaters, der auf allen vieren über das Badetuch kroch. Sinan, um nicht hinunterzufallen, klammerte sich am Hals ihres Vaters fest, und ihr Vater begann zu röcheln. Er war jetzt nicht mehr weiß, er war blau im Gesicht, vor allem die Lippen waren blau, wie bemalt. Aber an diesem Tag war es erst eine Warnung.
    Bazir Khalili nahm die Warnung ernst, aber er ging nicht zum Arzt. Er traf Vorkehrungen auf seine Art. Vier Monate vor seinem Tod schnitzte er für Sinan ein Pferdchen aus Holz. Er schenkte es Sinan an einem gewöhnlichen Tag und sagte, es ist aus Holz, aber es ist auch lebendig. Weil es aus Holz ist, kann es nicht krank werden und nicht sterben. Und weil es lebendig ist, kannst du mit ihm sprechen und ihm alles erzählen, es hört dir zu. Es wird nie von dir weggehen. Es wird immer bei dir bleiben, Shino, meine grüne Blume. Bazir nannte seinen Enkel Shino, weil es sich ähnlich anhörte wie Sinan, aber ein paschtunischer Name war. Bazir hatte den Wunsch seines türkischen Schwiegersohns Evren respektiert, Sinan einen türkischen Namen zu geben, es war das Recht eines Vaters, seinen Sohn zu nennen, wie er wollte. Es war aber auch das Recht des Großvater, seinen Enkel anders zu nennen.
    Am Tag, als Bazir Sinan das Pferdchen schenkte, sagte er zu Miriam, wir wollen jetzt deine Mutter besuchen. Miriam brachte Sinan zu Dorle, und danach fuhren sie zum Jüdischen Friedhof Weißensee, wo Miriams Mutter bestattet war, vor drei Jahren war sie gestorben. In der Abenddämmerung kamen sie an. Bazir legte einen Stein auf das Grab seiner Frau, und er sagte, du weißt, ich kann mich nicht zu ihr legen. Ich kann nicht hier neben ihr begraben werden, obwohl es der richtige Platz wäre. Sie sprachen Pastho

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