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Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Titel: Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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Risiko, sein Übergewicht schwächte ihn, machte seine Schritte plump und raubte ihm in der dünnen Bergluft den Atem.
    Miriam blieb stehen und wartete auf ihn.
    Geht’s?, fragte sie.
    Sie strich ihm über die Wange, er hielt ihre Hand fest, er wollte die Zärlichkeit noch eine Weile bewahren, sie verlieh der Anstrengung Sinn.
    Wenn wir wieder in Berlin sind, sagte er, koche ich für dich. Und für Sinan. Mag er Fisch?
    Ein großer Vogel, ein Steinadler vielleicht, tauchte aus den Wolken in die klare Luft und schwang sich wieder in die Wolken empor.
    Martens brauchte etwas, das ihn an bessere Zeiten erinnerte. Etwas, das ihn ablenkte von der Anstrengung und der Angst. Er zog sein iPhone unter der Wetterjacke hervor, die Batterieanzeige – der Balken war fast noch voll – erfüllte ihn mit demselben billigen Glück, das er jeweils empfand, wenn er in Berlin in einer vollgeparkten Straße eine Parklücke entdeckte. Mit vom Regen nassen Fingern steckte er sich die Kopfhörer ein, und als das Präludium zu Bachs Kantate Jesus bleibet meine Freude erklang, in der Interpretation von Angela Hewitt, fand eine Verzauberung statt. Die Schönheit der Musik brachte die Schönheit des gefährlichen, schmutzigen Pfades zum Vorschein, das Spiel der Formen, und wenn es nur Steine waren, die kleinen Wellen, die sich in den Pfützen ausbreiteten, wenn Regentropfen hineinfielen. Bachs Musik führte alle Dinge zu ihrem Ursprung zurück. Mit dieser Musik in den Ohren war es ein melancholischer Genuss, im Regen in die wolkenverhangenen Berge hochzusteigen. American Beauty, der im Wind tanzende Plastikbeutel – das Wesen aller Dinge war ihre innere Schönheit, und Martens hatte nun das Gefühl, über die Brücken dieser Schönheit von Stein zu Stein zu wandeln.
    Repetition
    Der Regen ließ nach, ein Wetterumschwung brachte Sonne, die letzten Wolken duckten sich unter ihr hindurch. In wenigen Minuten verwandelte sich die zuvor stumpfe, graue Bergkulisse in ein dramatisches Bühnenbild für das Licht. Es war ein betörendes, herrschaftliches Licht, das Steine zum Leben erweckte, es holte aus allem das Innerste hervor und brachte es zum Leuchten. In kristallener Klarheit brachen die Farben und die Texturen der Berge hervor, das Blau des Himmels war Gesang. Sie erreichten eine Hochebene, ein Steinfeld im Glanz, die Prächtigkeit füllte das Herz.
    Nach einer Weile gelangten sie zu einem Steingebäude, einem einsamen, einstöckigen Haus, das sich wie ein Chamäleon im Gelände tarnte, indem die Steine, aus denen es gebaut war, dieselben waren, die in der Umgebung herumlagen. Nur durch seine Rechteckigkeit unterschied das Haus sich von der Gerölllandschaft, in der es stand.
    Zwei Männer kamen ihnen entgegen. Beide waren klein, die Mündungen der Kalaschnikows, die sie am Schultergurt trugen, reichten ihnen fast bis zu den Knien. Einer trug die Pakol, der andere einen nachlässig gewickelten Turban, die schwarzen Vollbärte verliehen ihnen Gewicht. Miriam verdeckte unter den Blicken der Männer ihr Gesicht mit dem Schleier des Tschadors, nur die Augen ließ sie frei, allerdings waren die ja gerade das Schönste, Begehrenswerteste an ihr. Die Männer hatten aber keinen Blick dafür, sie starrten Martens’ blonde Haare an. Chargul sprach mit ihnen, aber sie konnten sich nicht konzentrieren, Martens’ Haare nahmen sie gefangen. Sie waren etwas Besonderes und eine willkommene Abwechslung für jemanden, der sich an die Schönheit des Steinfeldes gewöhnt hatte. Bäurische Gesichter, wuchtige Augenbrauen, derbe Nasen, und als der eine der Männer etwas sagte, entblößte er eine Lücke in seiner unteren Zahnreihe. Martens schaute ihnen mit festem Blick in die Augen, um nicht unterwürfig zu erscheinen, er war kein Gefangener, und sie sollten ihn nicht als solchen betrachten. Der eine zeigte offen seine Neugier: So also sehen die Kuffar aus! Er hatte vielleicht schon oft auf die Ausländer geschossen, aber noch nie einen aus der Nähe gesehen. Der andere wich Martens’ Blick aus und begann lebhaft auf Chargul einzusprechen.
    Er fragt ihn, wie viele Zigaretten er mitgebracht hat, sagte Miriam. Sie haben ihm Geld gegeben, um Zigaretten zu kaufen.
    Aber er hat keine gekauft, sagte Martens.
    Miriam schwieg, sie blickte hinüber zum Haus, das mit seiner mannshohen Umfriedungsmauer an eine kleine Festung erinnerte. Eines der Gebäude im Innenhof ragte als eine Art Wachturm über die Mauer.
    Chargul, bedrängt von den beiden Männern, sagte etwas zu

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