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Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Titel: Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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Gesicht, er war müde, sein Blick wurde glasig.
    Miriam kam wieder, mit Beuteln, darin Teeblätter, Zucker, sie brachte auch Feuerholz. Sie ging ins Turmzimmer, um Tee zu kochen.
    Dilawar hustete, zündete sich eine weitere Zigarette an, und wieder warf er Martens eine zu. Mit der Zigarette im Mund zog Dilawar seine Sandalen aus. Als er gähnte, stieg Rauch aus seinem Mund. Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete er Martens’ Haare. Sein schmales Gesicht lief spitz zu, der schüttere Bart hing daran wie etwas schwer Erarbeitetes, das jederzeit abfallen konnte, wenn die Achtsamkeit nachließ. Es war das Gesicht eines Mannes, der sich selten in Häusern aufhielt, der bei jedem Wetter draußen war und von dem das Leben Entschlossenheit verlangte. In den Augen lauerte etwas Verdorbenes, aber man konnte darin auch etwas Natürliches, Erdiges erkennen, das sich mit dem Verdorbenen die Waage hielt.
    Miriam breitete ein Tuch auf dem Teppich aus. Sie stellte die Teegläser darauf und goss aus der Kanne ein. Ihre Lippe war blutig von Dilawars Schlag.
    Dilawar sagte etwas.
    Er will das Geld, übersetzte sie. Wir sollen es hier auf das Tuch legen.
    Nicht bevor wir Evren gesehen haben, sagte Martens.
    Das bestimmst nicht du, sagte sie. Dir ist Evren gleichgültig, mir nicht.
    Es verletzte ihn, dass sie es betonte, aber es stimmte, Evren war ihm gleichgültig. Es kümmerte ihn nicht einmal, dass er der Vater von Sinan war. Ein anderer konnte an die Stelle treten, warum nicht er. Nach allem, was Miriam ihm über Evren erzählt hatte, gab es für Martens keinen Grund anzunehmen, dass Evren als Vater unersetzbar war. Die Beziehung eines Kindes zu seinem Vater war per se unersetzbar, aber das hieß nicht, dass ein anderer Mann für ein Kind nicht wichtiger werden und ihm nicht mehr fürs Leben mitgeben konnte. Voller Groll dachte Martens, dass Miriam sich Illusionen machte, was ihre Familie betraf. Es gab keine Familie mehr, sie selbst hatte sie doch aufgekündigt. Sie hatte sich von Evren getrennt, die Gründe kannte Martens nicht, aber es zählte das Ergebnis: Sie lebte mit Sinan allein, und der Kleine sah seinen Vater vermutlich nur noch im Rahmen des Besuchsrechts. Die Befreiung von Evren war ihr wichtiger gewesen als das Fortbestehen der Familie. Martens störte, wie sehr Miriam diese Familie, die es nicht mehr gab, nun zum Zentrum ihres Handelns machte , ich will meinem Kind seinen Vater zurückbringen: pathetisch. Sie macht sich etwas vor, dachte er, während Dilawar mit dem Finger auf sie zeigte und ihr harte, kurze Sätze zuwarf, sie ist nicht hier, weil sie ihre Familie liebt, es ist viel einfacher: Sie konnte nicht anders. Wäre ihre Freundin Dorle entführt worden, hätte sie genau dasselbe getan. Man ließ einen Menschen, mit dem einen etwas verband, in einer solchen Situation nicht im Stich, und wäre es Dorle gewesen, hätte Miriam gesagt, ich will meine Freundin nach Deutschland zurückbringen, und das Wort Familie wäre gar nie ausgesprochen worden.
    Ich werde meine zehntausend nicht hinlegen, sagte Martens, bevor wir nicht wissen, ob Evren noch lebt. Er soll uns Evren zeigen, und dann bezahlen wir. Er erwartet, dass wir das verlangen, er nimmt uns nicht ernst, wenn wir nicht verhandeln. Gib ihm das Geld erst, wenn du Evren gesehen hast.
    Du weißt immer alles, du kennst dich so gut aus, sagte sie, das ist anstrengend.
    Wär’s dir lieber, wenn ich mir vor Angst in die Hose mache?, fragte er.
    Sie schaute ihn an, zermürbt, und dann wandte sie sich Dilawar zu und sagte etwas.
    Unter Schlafenden
    Dilawar schnellte hoch, das Teeglas stürzte um. Er packte Miriam am Arm und zerrte sie zur Tür, stieß sie mit Wucht hinaus, sie strauchelte, fiel hin, vor den Augen der Männer, die im Innenhof lagerten. Dilawar stand in der Tür und versperrte Martens den Weg. Martens schob ihn beiseite, es war eine gefährliche Berührung, als packe man eine Giftschlange am Schwanz. Aber Dilawar ließ ihn gewähren, er unternahm nichts, als Martens Miriam auf die Beine half und sie zu einer Ecke des Hofs brachte, wo sie sich setzen konnte.
    Dilawar rief einen Befehl. Einer der Männer, sehr jung mit noch kindlichem Gesicht, stand auf und entfernte sich, um den Auftrag zu erledigen. Dilawar verschwand wieder im Innern, die Tür ließ er offen.
    Es kehrte Ruhe ein.
    Die Männer, Martens zählte neun, saßen mit angewinkelten Beinen im Schatten der Umfriedungsmauer, sie mieden die Mittagssonne. Müde Gesichter, wie abgeerntete Äcker,

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