Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)
das, was hier gerade passiert. Für dich stimmt hier alles, das ist deine Welt. Du möchtest gar nicht zurück, aber ich schon. Ich gehöre nicht hierher, du schon.
So einfach ist es nicht, sagte Martens.
Ich weiß nicht, wie es sein wird, sagte sie, wenn wir wieder in Berlin sind. Ob ich überhaupt möchte, dass du Sinan näher kennenlernst, dass er dich zu mögen beginnt. Und am nächsten Tag bist du weg.
Was willst du hören? Dass ich mich ändern werde?, sagte er. Ja, ich will mich ändern. Es gefiel ihm nicht, dass er das sagte. Es stimmte zwar, er wollte sich ändern, aber er wollte es ihr nicht versprechen.
Das ist keine gute Voraussetzung, sagte sie, wenn sich jemand ändern muss, damit man zusammenpasst.
Du gibst uns keine Chance, sagte Martens.
Nein, du gibst uns keine, sagte sie.
Dann müssen wir eine Münze werfen, sagte er. Er hatte noch zwei, drei Euromünzen in der Tasche. Kopf oder Zahl?, fragte er.
Sie kam aus dem anderen Zimmer zu ihm.
Zahl, sagte sie.
Er schnippte die Münze hoch, fing sie auf, legte die Hand darüber und enthüllte sie dann.
Du hast recht, sagte er, ich gebe uns keine Chance.
Ja, und ich wünschte, es wäre anders, sagte sie und berührte ihn an der Wange. Es war eine wehmütige Berührung, vielleicht sogar eine Abschiedsberührung.
Wenn ich anders wäre, dachte er, wäre ich nie mit ihr nach Afghanistan gefahren. Sie wirft mir vor, dass ich Sonntagsspaziergänge hasse, aber hier bin ich der Richtige. Sie hatte es doch vorgestern selber gesagt, hier bin ich unglaublich froh, dass du so bist. Sie nahm sich von ihm, was sie gerade brauchte, sie pickte sich die Leckerbissen aus dem Topf, er sagte, ich habe mich in dich verliebt. Er sagte es, weil er wissen wollte, wie sie darauf reagierte.
Das geht mir auch so, sagte sie. Aber ich weiß nicht, ob es nicht an der Situation liegt. Bei uns beiden.
Das kann sein, dachte er, aber er sagte, bei mir nicht.
Weil du solche Situationen kennst, sagte sie. Aber ich nicht. Mir kommt hier alles unwirklich vor. Dass ich mit so viel Geld in den Hosentaschen rumlaufe. Dass wir miteinander geschlafen haben, hinten auf dem Auto, während Chargul mit uns wegfuhr. Dass wir jetzt hier darüber reden, ob wir zusammenpassen oder nicht, während ich nicht einmal weiß, ob Evren noch lebt. Und gleich werde ich Dilawar begegnen, und du stehst da und schaust mich so erwartungsvoll an. Ich kann das alles einfach nicht ernst nehmen. Versteh mich nicht falsch, ich nehme es ernst, aber ich weiß nicht, wie ich darüber denke, wenn ich wieder in Berlin bin.
Sie weiß nicht, ob es nicht eine Urlaubsliebe ist, dachte er, und ich bin der griechische Tauchlehrer.
Das Wort Familie
Die hölzerne Tür wurde aufgestoßen, und ein Mann betrat das Zimmer. Er trug eine Sonnenbrille und einen schwarzen Turban, in seiner Hand knisterte ein Funkgerät. Er schob die Antenne ein und legte das Funkgerät auf den Boden. An ihm glänzte eine goldene Armbanduhr. Sein schütterer Bart, zwischen jedem Faden viel Luft. Breite Sandalen mit dicken Sohlen. Er nahm die Sonnenbrille ab und blickte Martens an, ein Blick, dem man etwas entgegensetzen musste, um nicht einzuknicken. Schmale Schultern, schmale Hüften, fast jungenhaft. Es war schwierig, sein Alter zu schätzen, er hätte dreißig sein können und genauso gut fünfzig.
Miriam bedeckte ihr Gesicht mit dem Schleier. Der Mann sagte etwas zu ihr, beiläufig, unaufgeregt.
Miriam nickte, sagte ein einziges Wort.
Der Mann winkte sie näher zu sich. Er nahm ihr den Schleier vom Gesicht.
Dilawar, dachte Martens. Er will wissen, wie seine Schwester aussieht.
Dilawar betrachtete Miriams Gesicht. Er suchte nach vertrauten Zügen, nach Ähnlichkeiten von Miriams Gesicht mit seinem eigenen.
Dann schlug er sie. Ein kurzer, heftiger Schlag mit der flachen Hand. Miriam hielt sich die Arme vors Gesicht. Dilawar schrie sie an, nimm die Arme weg! Sie ließ die Arme fallen, aber er schlug sie nicht noch einmal. Er zeigte auf den Alkoven und gab Anweisungen. Miriam zog unter den dort verstauten Schlafmatten einen Teppich hervor, sie breitete ihn auf dem Boden aus. Dilawar sagte etwas, und sie öffnete die Tür und ging hinaus.
Dilawar setzte sich auf den Teppich, er zündete sich eine Zigarette an. Auch Martens warf er eine hin, um ihm zu zeigen, dass er freizügig war. Komm setz dich, sagte Dilawar durch Handzeichen. Martens setzte sich ihm gegenüber. Dilawar schob ihm das Feuerzeug zu.
Sie rauchten.
Dilawar rieb sich übers
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