Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)
habe das Geld, sagte Miriam, ich werde es ihm geben, und dann lässt er dich frei. Ich bringe dich nach Hause, Evren.
Ach ja?, sagte Evren. Ja, das ist gut, dass du mich nach Hause bringst. Siehst du das? Er öffnete den Mund. Diese Bastarde haben mir mit einem Schraubenzieher und einem Stein einen Zahn rausgemeißelt, sagte er. Siehst du das? Die dachten, du kommst nicht. Also schlagen wir ihm einen Zahn aus. Mal sehen, vielleicht kommt sie dann. Aber du bist nicht gekommen.
Weil ich das Geld noch nicht hatte!, sagte Miriam. Es sind achtzigtausend Dollar, Evren, wo hätte ich die denn so schnell hernehmen sollen!
Sie streiten sich!, dachte Martens. Die beiden sahen sich nach drei Monaten zum ersten Mal wieder, und sofort stritten sie sich, mitten in einer Gruppe zu Tode erschöpfter Taliban. Es war grotesk, und es war beunruhigend: Wie sehr mussten sie sich einst geliebt haben.
Der Nerv war noch drin, sagte Evren, ich weiß jetzt alles über Zahnnerven. Sie sind winzig, du kriegst sie mit einer Kugelschreibermine nicht zu fassen. Du kannst in dem Loch rumwühlen, solange du willst, der beschissene Nerv stirbt einfach nicht. Es ist nämlich nicht nur einer, es sind Hunderte. Und an die meisten kommt man nicht ran, sie versteckten sich hier überall. Evren fuhr sich mit dem Finger über den Kiefer. Wenn du eiskaltes Wasser in den Mund nimmst, sagte er, und es aushältst, hast du eine Weile Ruhe. Aber dann geht’s wieder los – ich hatte wirklich viel zu tun, während ich auf dich gewartet habe, mir war nie langweilig, ich war jeden Tag und jede Nacht mit diesen Nerven beschäftigt.
Wie lange hattest du Zahnschmerzen?, sagte Miriam. Eine Woche? Zwei Wochen? Mehr bestimmt nicht, irgendwann stirbt der Nerv ab. Du hattest nicht die ganzen drei Monate Zahnschmerzen.
Entschuldige, sagte Evren, ich hatte ganz vergessen, dass du immer besser weißt, wie es mir geht, als ich selbst. Du hast recht, es war eigentlich gar nicht so schlimm. Ich bin vielleicht nicht mal entführt worden, ich bilde mir das alles nur ein, weil ich ein Jammerlappen bin. Das hast du doch mal zu mir gesagt: Keine Frau schläft gern mit einem Jammerlappen.
Evren schaute Martens an, er sagte, und der da? Ist das dein neuer Freund?
Das geht dich nichts an, sagte Miriam.
Du bringst deinen Freund hierher?, sagte Evren. Das wird dem Bastard aber gar nicht gefallen. Mit Bastard meine ich ihren Bruder, sagte er zu Martens. Er denkt, dass Miriam eine Hure ist, nur Huren verlassen ihren Ehemann. Manche Männer stehen auf Huren. Ich nicht. Aber vielleicht stehen ja Sie auf Huren?
Was für ein Kotzbrocken!, dachte Martens. Er verstand nicht, warum Miriam sich je mit diesem Mann eingelassen hatte, es warf ein schlechtes Licht auf sie. Man wurde durch eine Entführung kein besserer Mensch, aber um so zu werden wie Evren, musste man schon vorher charakterliche Defizite gehabt haben.
Ein Teil des Lösegeldes für Sie, sagte Martens, steckt hier in meiner Tasche. Es würde mir leichter fallen, dieses Geld für Sie auszugeben, wenn Sie mich nicht beleidigen würden.
Okay, sagte Evren, okay. Er spuckte aus.
Miriam sagte auf Pashto etwas zu dem jungen Talib. Er nickte und ging ins Turmgebäude.
Lass mich raten, sagte Evren. Du wolltest wissen, ob ich noch lebe. Ja, ich lebe noch. So ein Pech. Jetzt muss sie so viel Geld bezahlen für einen Jammerlappen, sagte er zu Martens. Für einen Mann, mit dem sie es nicht mehr ausgehalten hat, weil ich mich nicht gern rumkommandieren lasse. Sie würde gar nicht mehr mit mir sprechen, wenn wir kein Kind hätten. Wenn wir kein Kind hätten, würde sie keinen Cent für mich bezahlen. Ich liebe meinen Sohn auch, aber nicht so grausam wie sie. Ja, grausam. Weil für andere nichts mehr übrig bleibt. Sie liebt nur ihren Sohn. Sie ist nicht wegen mir hier, sie denkt nicht an mich. Ich bin für sie nur der Vater ihres Kindes, das sie mir genommen hat.
Halt den Mund!, sagte Miriam.
Ich gebe Ihnen einen Tipp, sagte Evren zu Martens, lassen Sie sich immer schön rumkommandieren und kaufen sie ihr jede Woche zehn Flaschen Wein, dann bleibt sie Ihnen treu. So Gott will. Inschallah!, rief Evren. Inschallah!
Er weckte damit einige der Männer, sie schauten ihn an, sahen, dass es nur er war, und schliefen wieder ein.
Tipp Nummer zwei, sagte Evren. Stecken Sie sich einen Stein in den Arsch, wenn es dunkel wird. Einen kleinen, langen Stein, den Sie auch wieder rauskriegen. Evren lachte. Nein, im Ernst, sagte er, das sollten Sie
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