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Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Titel: Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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und Seife ging, versuchten sie, sich und ihre Kleidung sauber zu halten. Der andere wickelte den Turban neu, einen Krawattenknopf zu binden war dagegen ein Kinderspiel, das hier erforderte mehr Übung. Ein Raubvogel kreiste über ihnen, alle blickten einen Moment hinauf und setzten dann ihre Tätigkeiten fort.
    Martens beobachtete Miriam. Sie ging um das Haus herum, so als würde sie sich die Beine vertreten. Der Wind zerrte an ihrem Tschador, eine schwarze Fee im kalten Morgenlicht. Sie vermutete, dass Evren in dem Gebäude gefangen gehalten wurde, das an jenes grenzte, in dem sie gestern Nacht geschlafen hatten. Martens hielt es für unwahrscheinlich. Warum ihn einsperren? Chargul ließ sie beide ja auch frei herumlaufen, das Gelände verhinderte eine Flucht. Miriam stieg auf einen Felsbrocken und blickte von außen über die Umfriedungsmauer. Der Zufriedene kämmte nun seinen Bart, mit noch größerer Sorgfalt als vorhin die Haare – die Haare gehörten ihm, aber der Bart Gott.
    An der Flanke eines Berges kamen Steine ins Rollen, es war ein sehr entferntes Ereignis.
    Martens legte sich auf den Boden, er ignorierte den spitzen Stein in seinem Rücken. Es gab keine Alternative, in diesem Gelände war alles unbequem: sitzen, liegen, stehen, alles war hart, spitz, kalt, windig. Die im Alkoven des Turmgebäudes verstauten Schlafmatten – jetzt auf so einer liegen, dachte Martens, das wäre herrlich. Er bot der Sonne seine ganze Körperfläche an, die Sonne war der einzige Luxus, den es hier gab. Sie wärmte ihn mehr schlecht als recht, denn sie war noch jung und hart. Nach einer Weile schlief er trotzdem ein. Er träumte, dass er mit Nina ein Lied sang, es war ein beglückendes Erlebnis, er fühlte sich ihr sehr verbunden. Dann stürzte Nina von einem Pferd, es war ein erschreckender, endgültiger Sturz, er war froh zu erwachen.
    Komm, wach auf, sagte Miriam, sie sind da.
    Tauchlehrer
    Chargul und die zwei anderen blickten ernst und gespannt in die Ferne. Dort näherten sich Männer. Sie waren noch weit weg, aber es waren nicht viele, das konnte man schon ahnen. Sie hatten zwei oder drei Esel als Lasttiere bei sich.
    Chargul sagte etwas zu Miriam.
    Wir müssen ins Haus, sagte sie, und Martens folgte ihr in das Zimmer, in dem er und die Männer die Nacht verbracht hatten. Miriam schloss die Tür, es war dunkel, Martens hörte ihren Atem. Er wollte sie in den Arm nehmen, ihr beistehen, aber sie wich zurück, sie sagte, ich warte im anderen Zimmer, bleib du hier.
    Wir sollten das Geld verstecken, sagte er, es kam ihm jetzt in den Sinn. Es muss kein gutes Versteck sein, es geht nur darum, dass wir es nicht bei uns haben. Dass nur wir wissen, wo es ist, das ist unser einziger Trumpf.
    Ich werde genau das tun, was er will, sagte Miriam leise. Sie stützte sich an die Wand. Er will, dass ich ihm das Geld gebe, ich. Darauf legt er Wert. Das ist ihm wichtig. Und ich werde das tun.
    Dann hast du nichts mehr in der Hand, sagte Martens. Glaub mir, es ist besser, wenn wir es verstecken, hier zwischen den Schlafmatten. Er wird nie auf die Idee kommen, dass das Geld hier ist. Er wird es erst merken, wenn er die Matten heute Abend auslegt. Aber bis dahin muss sowieso alles erledigt sein. Wir werden ihm sagen, wo das Geld ist, sobald er uns freies Geleit garantiert hat.
    Das ist doch Blödsinn!, sagte sie. Er wird nur denken, dass ich das Geld nicht habe. Du weißt nicht, wie er ist. Wenn er sagt, dass er Evren umbringt, wenn ich nicht bezahle, dann tut er es auch. Lass mich einfach machen!
    Sie ging ins andere Zimmer, er ließ Zeit verstreichen und sagte dann, überleg es dir bitte noch einmal. Es ist falsch, ihm das Geld zu geben, ohne vorher zu verhandeln. Das hätte mir früher in den Sinn kommen müssen, es ist mein Fehler. Aber wir haben noch Zeit.
    Evren ist mein Mann, hörte er sie im anderen Zimmer sagen. Er ist der Vater von Sinan. Wir sind eine Familie, auch wenn ich nicht mehr mit ihm zusammenlebe. Ich liebe ihn trotzdem noch. Als Vater meines Kindes. Und jetzt verlangst du von mir, dass ich sein Leben riskiere für irgendeine Idee, von der du selbst nicht überzeugt bist? Ich glaube, du verstehst gar nicht, warum ich hier bin. Ich will meinem Sohn seinen Vater zurückbringen. Ich liebe meine Familie, und ich möchte, dass sie eine Familie bleibt, so gut es geht. Bei dir ist es umgekehrt. Du bist hier, weil es dich nicht glücklich macht, mit den Menschen zusammen zu sein, die du liebst. Du suchst etwas anderes, du suchst

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