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Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Titel: Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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Martens, hast du allen Zucker in den Tee getan? Oder ist noch etwas übrig?
    Denkst du jetzt wirklich ans Essen?, fragte sie.
    Ja.
    Aber ich habe dir noch nicht alles erzählt, sagte sie.
    Das spielt doch keine Rolle, sagte er. Du hast Geld gebraucht, und dann hast du mich kennengelernt.
    Auf dem Bürgeramt, sagte sie. Weil ich umgezogen bin. Ich hatte mit dem Vermieter meiner alten Wohnung gesprochen. Er wollte renovieren, und ich machte ihm einen Vorschlag: sofortige Kündigung, wenn er mir die Mietkaution sofort bar ausbezahlt. Er war einverstanden.
    Ich nehme an, sagte Martens, die Kaution, das waren ungefähr dreitausend. Jetzt fehlten dir noch zehntausend.
    Ja, sagte sie. Ich zog in diese kleinere Wohnung, die du kennst. Der Vermieter ist Musiker, er hat das Haus geerbt. Er suchte Mieter, die es nicht stört, wenn er nachts um zwei Kontrabass spielt, dafür war er bereit, auf die Kaution vorläufig zu verzichten. Aber ich brauchte immer noch zehntausend. Und Dilawar verlor die Geduld. Es dauerte ihm zu lange, er rief mich an, er sagte, wie kannst du das dem Sohn deines Vaters antun, was für eine Frau bist du? Evren schrieb mir mit Malalais Handy eine SMS, er schrieb alles in Großbuchstaben, HOL MICH ENDLICH HIER RAUS! TU ES FÜR SINAN ODER IST ER DIR ETWA AUCH EGAL. Er schrieb, Malalai habe ihm gesagt, dass Dilawar ihm einen Finger abschneiden will, um herauszufinden, ob ich wirklich so kaltherzig bin. Und dann traf ich dich, und du sagtest, dass du Journalist bist. Mir kam in den Sinn, dass ich Malalais Geschichte verkaufen könnte … ich sah einfach keine andere Möglichkeit mehr.
    Ja, sagte Martens, und jetzt lass uns endlich über den Zucker sprechen. Ist noch welcher da?
    Sie zog den Beutel unter ihrem Tschador hervor.
    Du hast den Zucker versteckt?, fragte er. Warum?
    Für alle Fälle, sagte sie. Halt deine Hand hin.
    Sie schüttete ein Häufchen in seine Hand. Martens betrachtete es im Mondlicht, ein schimmerndes süßes Hügelchen, ihm wurde der Mund wässrig. Was für ein Genuss würde es sein, die Zunge in der Süße zu wälzen, die Kristalle zwischen den Zähnen zu zerbeißen und den süßen Saft zu schlucken. Er zögerte es hinaus, umso schöner würde es werden.
    Warum isst du nicht?, fragte sie.
    Das ist alles, was wir haben, sagte er, dieses bisschen Zucker. Wir haben den ganzen Tag nichts gegessen, und vielleicht kriegen wir auch morgen nichts. Stell dir vor, wie gut uns dieser Zucker schmecken wird. Er ist eine Köstlichkeit. Ich werde nie mehr etwas so Köstliches zu essen bekommen.
    Ich habe meinen schon gegessen, sagte sie. Er schmeckte wie Zucker.
    Dann warst du nicht hungrig genug, sagte er.
    Doch, ich war hungrig. Mir war schlecht vor Hunger. Aber du bist nicht hungrig. Sonst könntest du nicht so lange warten.
    Er war enttäuscht: Sie verstand ihn nicht. Aber vielleicht war es auch schwierig zu verstehen, dass ich hier bin, dachte er, wegen Momenten wie diesem. Er umfasste mit den Lippen das Häufchen, seine Lippen kalt und das Häufchen süß, wie etwas nur früher als Kind süß gewesen war. Aber jetzt, mit dreiundfünfzig, merkte er zum ersten Mal, dass Süße warm war, in ihr war eine milde, konzentrische Hitze. Er leckte die Kristalle aus seinen Handlinien, und als nichts mehr da war, schloss er die Augen und aß den Zucker noch einmal in seiner Erinnerung.
    Schlaf nicht ein, sagte Miriam, du musst jetzt wieder rüber. Wenn sie uns hier zusammen sehen, das wäre nicht gut.
    Ich schlafe nicht, sagte er. Ich stelle mir nur noch einmal vor, wie ich den Zucker esse.
    Und was soll das bringen?, sagte sie.
    Kannst du dir das nicht vorstellen?, fragte er.
    Geh jetzt bitte rüber, sagte sie, und er stand auf und ging ohne ein weiteres Wort.
    Vor der Ankunft
    Der mit dem Leben Zufriedene lehnte sich in der Frühsonne an die Mauer, versonnen kämmte er sich seine wolligen, dunkelbraunen Haare, den Kopf zur Seite gelegt, durch die Zacken rollte sein Haar. Er säuberte den Kamm, entfernte die hängen gebliebenen Haare und begann von Neuem. Sein Blick schweifte träge umher, die Felsen, die Berge, der Himmel, es war alles so wie immer, es gab nichts Neues zu sehen, und das war gut. Der andere saß in der Nähe der Mauer auf einem Felsbrocken und stülpte seine Socken um. Er trug sie offenbar einen Tag auf der Außenseite, am nächsten auf der Innenseite, in der Meinung, sie so zu schonen. Chargul rieb mit einem Stein über seine Pluderhose, um einen Fleck zu entfernen. So gut es ohne Wasser

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