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Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Titel: Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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ins Gebirge verschleppt worden, war drei Monate lang auf felsigen Pfaden gewandert, bis die Verleimung sich gelöst hatte, die Schuhe waren aufgeplatzt und boten keinen Halt. Omar zerrte Evren hoch, stieß ihn vor sich her, manchmal richtete er den Blick zum Himmel, er fürchtete sich vor der Rückkehr der Hubschrauber.
    Am Nachmittag, nach stundenlangem Marsch, gab Malalai Evren aus ihrer Plastikflasche zu trinken, das passte Omar nicht, er riss ihr die Flasche aus der Hand und gab ihr eine Ohrfeige. An Omar waren auffällig die schönen grünen Augen in dem hellen Gesicht, und als sie endlich rasteten, unter einem Felsvorsprung, es war fast eine Höhle, setzte Omar sich Schulter an Schulter neben Dilawar an die Felswand, nahm seine Pakol ab und kämmte sich seine schwarzen Haare, sie reichten ihm bis zu den Achseln. Beim Kämmen neigte er den Kopf wie eine Frau, Dilawar lächelte. Die anderen Männer legten sich hin, die meisten schliefen sofort ein.
    Martens war zu erschöpft und zu hungrig, um zu schlafen. Er nahm einen kleinen Stein in den Mund, er war begierig, etwas zwischen den Zähnen zu haben. Er blickte in die Weite, sah Berge. Berge hinter Bergen. Wolken. Er sah in den Wolken den Kopf eines Mannes mit einer Zipfelmütze. Evren saß im Schneidersitz und wiegte sich hin und her, er ließ Miriam nicht aus den Augen. Sie schlief im Sitzen, mit entblößtem Gesicht, ihr Mund stand offen.
    Dilawar stand auf, er entfernte sich ein paar Schritte vom Rastplatz und suchte mit der Antenne des Funkgeräts Empfang.
    Nach einer Weile kehrte Dilawar zurück und warf Omar das Funkgerät in den Schoß. Er war aufgebracht, sprach laut auf Omar ein, wer geschlafen hatte, erwachte. Omar öffnete eine Klappe des Funkgeräts, deutete hinein, da, schau doch, kapierst du es denn nicht?
    Was ist?, fragte Martens, und Miriam sagte, ich weiß nicht, ich habe geschlafen. Irgendetwas mit dem Funkgerät.
    Die beiden stritten sich von gleich zu gleich, Omar hatte keine Angst vor Dilawar, wahrscheinlich ist er sein Stellvertreter, dachte Martens.
    Es geht um die Batterie, sagte Miriam, Omar hat sie nicht ausgewechselt, jetzt funktioniert das Funkgerät nicht mehr. Omar behauptet, er habe sie ausgewechselt.
    Die anderen Männer beobachteten die Streitenden aufmerksam – gab es Veränderungen in der Hierarchie? Das war für sie von großer Bedeutung. Einer, der quer über der Brust zwei Patronengurte trug, hatte sich mit dem Stoff seines Ärmelsaums zwischen zwei Patronenspitzen verheddert – vorsichtig, damit er kein Loch riss, löste er den Stoff, aber gleichzeitig versuchte er, nichts von dem Streit zu verpassen, keinen Gesichtsausdruck Omars, keine Geste Dilawars, jede Kleinigkeit war wichtig.
    Der Streit nahm kein Ende, denn es ging nicht um das Funkgerät, es ging um den Angriff in der Morgendämmerung, um die erlittene Niederlage. Fünf Tote, die Zerstörung des Stützpunktes, die schmachvolle Flucht in diese Felshöhle – erschöpfte Männer, in deren Herzen der Zweifel keimte, ob sie sich dem richtigen Kommandanten angeschlossen hatten. Ein Hubschrauberangriff im Gebirge, man hätte doch nur an geeigneter Stelle eine Wache postieren müssen, dann hätte man doch die Hubschrauber rechtzeitig entdeckt. Und wie hatten die Kuffar den Unterschlupf überhaupt so zielsicher finden können? Dilawar war seinen Männern eine Erklärung schuldig, die seine Autorität wiederherstellte, die ihnen wieder das Gefühl gab, dass sie unter seiner Führung sicher waren und siegreich sein konnten, und dass Gott mit ihm war.
    Er muss etwas tun, dachte Martens, es war einfach: Dilawar brauchte einen Schuldigen. Spione. Es hat einen Angriff gegeben, zwei Tage, nachdem wir eingetroffen sind, dachte Martens. Er wird behaupten, dass wir die Amerikaner informiert haben.
    Und an die Layha hielt Dilawar sich nicht.
    Falls Dilawar uns der Spionage bezichtigt, dachte Martens, hat es keinen Zweck, wenn wir uns auf die Layha berufen.
    Es war nicht ohne Ironie, dass der Imam als oberster Führer der Taliban Todesurteile gegen Spione verbot, indem er in der Layha festgelegt hatte, dass nur er, sein Stellvertreter oder ein örtlicher Qadi, ein Talibanrichter, Exekutionen von Spionen bewilligen durften – also niemand. Denn der Imam und sein Stellvertreter waren weit weg und hatten Besseres zu tun, und hier im Gebirge einen Qadi aufzutreiben, wäre für Dilawar schwierig gewesen.
    Der Imam hält seine schützende Hand über uns, dachte Martens, aber das wird uns

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