Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)
hin, ein scharfer Schmerz im Knie. Er rieb sich die Tränen aus den Augen, aber da war etwas auf seiner Haut gewesen, etwas Ätzendes, das ihm jetzt in den Augen brannte. Wieder rief er ihren Namen, und nun hörte er von weit her seinen, es war ihre Stimme.
Das Licht der neuen Sonne hinter den Bergen, ein frühlingshaftes, jubelndes Licht.
Miriam saß auf dem Boden, sie hielt sich den Schleier vors Gesicht, sie sagte, ich würde dich so gern umarmen, ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist.
Omar stellte sich vor sie, mit dem Gewehr im Anschlag.
Wir dürfen nicht miteinander sprechen, sagte Miriam.
Ich liebe dich, sagte Martens. Er liebte Miriam und er liebte diesen Tag, das lebendige Licht, das Flirren des Himmels, er fühlte sich zum Zerspringen gut, er hätte Steine zerbeißen können. Die Sense des Todes war über ihn hinweggesaust, und nirgends fühlte man sich geborgener als einen Fingerbreit unter dieser Sense.
Dann erst dachte er an Evren. Er war nicht unter denen, die sich um Dilawar versammelten. Aber Miriam wirkte unbesorgt, und als sie seinen Blick bemerkte, schüttelte sie den Kopf und lächelte.
Evren hatte also auch überlebt und Martens’ Freude darüber war sehr förmlich, eine Freude, die der Anstand gebot.
Ein Stück Erde
Malalai brachte Evren zum Sammelpunkt. Sie blutete aus einer harmlosen Stirnwunde, aber in ihren Augen hatte sich die Angst erhalten. Das Mädchen tat Martens leid, sie war noch ein halbes Kind, und auf sie wurde geschossen, man feuerte Raketen auf sie ab. Sie konnte sich hier niemandem anvertrauen, ihr Geheimnis machte sie einsam, ihr Leben hing davon ab, dass niemand erfuhr, was sie wirklich war. Als sich ihre Blicke trafen, lächelte Martens ihr zu, aber das war schon zu gefährlich. Sie heißt nicht Malalai, dachte Martens, sie heißt Pason. Ich muss mir angewöhnen, sie Pason zu nennen, auch wenn ich an sie denke, sonst rutscht mir irgendwann ihr Name heraus, wenn ich mit ihr spreche.
Evren sagte, das habt ihr ja wirklich toll hingekriegt. Nein wirklich. Das war eine echt gute Idee. Er spuckte aus. Jetzt bringt er uns um, ist euch das klar?
Dilawar hielt eine Ansprache, er versuchte, seine Männer wieder aufzurichten. Martens zählte: Sie waren gestern Abend siebzehn gewesen, und jetzt standen noch zwölf hier. Fünf Tote, zwei davon lagen vor den Trümmern des Gehöfts, zwei irgendwo, Chargul unter Steinen begraben in der Ruine. Er hätte nicht überlebt, dachte Martens, er war zu schwer verletzt – das war aber nur eine Vermutung. Ich hätte es versuchen müssen, dachte er, aber es hätte zu lange gedauert, wir wären jetzt beide tot – auch das nur eine Vermutung. Er erinnerte sich an die Frau in Quatliam, er hatte lange nicht mehr an sie gedacht. Sein Überleben bekam einen üblen Nachgeschmack, er hatte auf Kosten Charguls überlebt, aber nein, das stimmte nicht. Er hatte keine Zeit gehabt, es war absehbar gewesen, dass einer der nächsten Treffer das Haus zerstören würde, und die Wahrheit war, dass er an Chargul gar nicht mehr gedacht hatte, nur raus, raus hier. Und er hatte sich ja wegen Miriam in Gefahr begeben, um nachzusehen, ob sie nicht noch im Turmgebäude war, um sie in Sicherheit zu bringen, falls sie noch drin gewesen wäre. Todesangst ja, aber er hatte auch Mut bewiesen. Er war bereit gewesen, sein Leben für Miriam zu riskieren, aber nicht für Chargul, dazu konnte er stehen.
Dilawar sagte etwas zu Miriam, und dann schulterte er sein Gewehr und ging voran, und die Männer folgten ihm.
Wir müssen mitgehen, sagte sie.
Wohin?, fragte Martens.
Ich weiß es nicht.
Frag ihn, warum er uns nicht freilässt, sagte Martens. Er hat gestern versprochen, uns heute freizulassen.
Evren lachte, er sagte, dein Freund ist ja noch blöder, als ich dachte. Seit wann kennst du ihn eigentlich? Hast mit ihm schon gefickt, als du noch meine Frau warst?
Dilawar schlug ein schnelles Tempo an, selbst seine Männer hatten Mühe, ihm zu folgen. Sie mussten Feuerholz, Kochgeschirr und Munition nun selber tragen, denn die Esel waren tot. Martens ohne Kraft in den Beinen, der kleinste Stein brachte ihn ins Stolpern, seine Knie knickten ein, einmal stürzte er, scheuerte sich die Hände auf, seine Handflächen brannten, diese Empfindung hatte er zuletzt als Kind gehabt. Auch Evren stürzte in dem schwierigen Gelände, seine Schuhe taugten nichts. In Sommerschuhen für das Berliner Pflaster war er nach Afghanistan gereist, in diesen Schuhen war er entführt und
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