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Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Titel: Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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Augenblick gehorchte, konnte es sich gestatten zu sprechen. Er sprach laut, damit alle es hören konnten. Der Mann, in Dilawars Umklammerung, die Spitze des Messers am Kinn, zog unter seinem Hemd etwas hervor. Auf Dilawars Aufforderung hin hielt er den Geldschein in die Höhe, sodass alle ihn sehen konnten. Dilawar riss ihm den Schein aus der Hand und warf ihn ins Feuer. Damit war die Angelegenheit erledigt.
    Dilawar zerteilte auf einem flachen Stein die Hähnchen, und jeder holte sich seinen Teil, zu viele Hände griffen nach den wenigen Stücken, für Martens blieb nur der Stein übrig, auf dem der Hähnchensaft glänzte. Das Schmatzen, die leer genagten Knochen, die in die Glut flogen, der Duft der knusprigen Hähnchenhaut, den der Wind Martens unter der Nase wegwehte, seit zwei Tagen hatte er außer dem Häufchen Zucker nichts mehr gegessen. Er konnte auch keine Anzeichen dafür erkennen, dass wenigstens Miriam etwas von dem Hähnchenfleisch abbekommen hatte. Sie war im Haus geblieben, aber niemand hatte Fleisch ins Haus gebracht. Evren wurde irgendwo außerhalb des Gehöfts gefangen gehalten, und auch ihm war nichts von dem Hähnchenfleisch gebracht worden. Die Männer hatten alles selbst aufgegessen, aber auch sie waren von dem wenigen nicht satt geworden, hier litt jeder Mangel, die einen mehr, die anderen nur ein kleines bisschen weniger. Diese Männer besaßen jetzt alle fünf- oder sechshundert Dollar und konnten sich heute Abend doch nicht satt essen. Mit knurrenden Mägen warfen sie Holz ins Feuer, und dann legten sie sich um das Feuer herum, in der Eiseskälte suchte jeder die Wärme des anderen, auf dem Dach die schwarze Silhouette des Wächters, der den Himmel beobachtete.
    Dass sie uns nichts zu essen geben, dachte Martens, ist ein gutes Zeichen. Dilawar will uns morgen wirklich freilassen, deshalb verschwendet er keine Nahrung an uns.
    Die anderen
    Martens erwachte aus bleiernem Schlaf, einem Schlaf an der Grenze zum Tod. Um ihn herum Aufruhr, Schreie, eine Feuersäule zog am Himmel über ihn hinweg. Noch ganz benommen vom Schlaf kroch er in den Schutz der Mauer. Die Männer flohen in wilder Hast zu dem türlosen Durchgang in der Umfriedungsmauer, dem einzigen Ausweg aus dem Gehöft. In ihrer Todesangst behinderten sie sich gegenseitig, alle wollten gleichzeitig durch das Mauerloch, durch das aber immer nur einer schlüpfen konnte. Einige versuchten über die Mauer zu klettern, andere sprangen vom Dach des Turmzimmers ins Freie. Die Erde bebte, und eine heiße Druckwelle fuhr Martens ins Gesicht, trieb ihm Dreck und Splitter in die Augen, riss seine Haut auf mit kleinen Krallen. Auf allen vieren kroch er ins Haus, dessen Tür offen stand. Im Zimmer saß an die Wand gelehnt Chargul, dessen eine Gesichtshälfte schwarz war von verbranntem Blut und Fleisch. Von Charguls Händen stieg Rauch auf. Martens warf einen Blick ins Frauenzimmer, er wollte sichergehen, dass Miriam sich nicht vielleicht noch im Haus versteckte, das keinen Schutz bot, sondern im Gegenteil das Ziel war. Durch die zwei glaslosen Fenster spritzte Feuer hinein und vergiftete die Luft, Martens spürte seine Lungen heiß werden, mit letztem Atem rannte er zur Tür, hinaus in eine Wolke aus Staub und Funken. Auch hier konnte man nicht atmen. Er rannte durch die Wolke, bis sie sich lichtete. Hier war Luft, und er warf sich hinter einem der Felsbrocken vor dem Haus in Deckung und atmete. Er sah einen Talib, der eine Bazooka abfeuerte, ein trockener Knall, der Rückstoß warf den Mann zu Boden. Das Flappen von Rotoren, die Hubschrauber schwebten vor den noch dunklen Berghängen, darüber der Morgenstern und der sich dem Tag öffnende Himmel. Es lösten sich Raketen aus den Abschussrohren, sie hinterließen in der Luft eine weiße Spur.
    Als die Hubschrauber ihre Munition verschossen hatten, kehrte Ruhe ein. Der Wind verwehte den Rauch, Geröll rieselte von den Hängen hinter dem Gehöft, das es nicht mehr gab. Es war nur noch ein Steinhaufen, in dem Feuer züngelten.
    Aus dem Boden wuchsen die Männer hervor, die überlebt hatten, sie erhoben sich aus ihren Deckungen, manche bluteten aus den Ohren. Sie standen still da und schauten sich um: Wer lebt noch?
    Martens hielt Ausschau nach Miriam: wenn nur sie noch lebte, kein anderer Mensch hier interessierte ihn. Die Vorstellung, sie könnte tot sein, erfüllte ihn gleichermaßen mit Wut und Verzweiflung. Er lief an Toten und Verwundeten vorbei, rief Miriams Namen, er stürzte über etwas, fiel

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