Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)
Mundwinkeln, Schalen flogen durch die Luft, manche nachlässig, andere gezielt geworfen. Khyber, ein junger Bursche, nicht viel älter als Pason, warf seine Schalen nach Ehsanullah, Omar hob den Finger, noch einmal, und du kriegst eine Backpfeife! Dilawar saß auf dem Felsbrocken, auf dem Omar vorhin gebetet hatte, und sprach in sein Funkgerät. Er rauchte eine Zigarette, und als er Martens’ Blick sah, winkte er Pason zu sich. Er gab Pason eine Zigarette und schickte ihn damit zu Martens.
Ihr habt im Dorf einen Esel gekauft, sagte Martens.
Pason nickte.
Wie viel kostet hier ein Esel?, fragte Martens.
Ich weiß nicht, sagte Pason. Sie haben ihn uns geschenkt.
Und das Essen? Haben sie euch das auch geschenkt?
Sie haben uns alles geschenkt, sagte Pason. Ich wollte bezahlen, aber sie wollten das Geld nicht. Sie sagten, nehmt alles, was ihr braucht. Nehmt es, im Namen Gottes.
Yousef legte ein Lamm auf den Boden, es schlug mit den Beinen. Aber als er die Augen des Lamms mit dessen Ohren bedeckte und den Kopf in sanftem Griff hielt, beruhigte es sich und lag still. Yousef sprach ein Gebet, dann führte er das Messer über die Kehle.
Martens’ Magen knurrte. Hunger war Leere, es entstand ein Vakuum mit gewaltiger Sogwirkung. Das Vakuum zog alle Gedanken und Wünsche an, es sog den ganzen Menschen in sich hinein. Alles endete in dieser Leere, die aber bei längerem Hungern nicht größer, sondern kleiner wurde, dichter, härter – am Schluss war es eine winzige, konzentrierte Leere, umhüllt vom geschrumpften Magen. Und jetzt zwei Lämmer und ein Sack Reis, zweimal so viel wie sie essen konnten, aber sie würden es dennoch alles in sich hineinstopfen, in die eng gewordenen Mägen, die man durch schonende Zufuhr kleiner Mengen erst wieder hätte anlernen müssen. Wir werden fressen, und dann werden wir leiden, dachte Martens, keiner wird heute Nacht schlafen können vor Bauchschmerzen. Und besser, man legte sich in weitem Abstand zum Nachbarn schlafen, denn das meiste, das Yousef kochte, würde wieder ausgespien werden, weil es in den klein und hart gewordenen Mägen keinen Platz fand.
Yousef fachte das Feuer an, fetter Rauch stieg auf, Dilawar blickte besorgt an der Rauchsäule hoch, sie war ein Risiko, weithin erkennbar, ein verräterischer Fingerzeig für Feinde. Omar richtete sein Fernglas auf die andere Talseite, auf die grasbewachsenen, terrassierten Berghänge, die im milden Licht der späten Sonne vor sich hin träumten, in den kleinen Bäumen ein Nebel aus Licht, Steinflächen glänzten. Omar reichte das Fernglas an Dilawar weiter, um nicht schuld zu sein, falls er etwas übersehen hatte.
Omar wollte jetzt spielen. Er zog seine Weste aus und streckte sich, um die Muskeln geschmeidig zu machen. Drei der anderen Männer machten sich gleichfalls bereit. Martens suchte einen geeigneten Stein, das war sein Privileg, denn er war der Sieger des letzten Wettkampfs, er hatte Omar besiegt.
Brauchst du mich?, fragte Pason, als Martens sich nach einem Stein umsah.
Ja, sagte Martens. Er hob einen Stein auf, so groß wie ein Fußball, aber zu leicht. Er brauchte einen großen und schweren Stein.
Better you let Omar win, sagte Pason. This time.
Aber Pason schätzte Omar falsch ein. Es hatte Omar nicht gekränkt, dass er von Martens besiegt worden war, im Gegenteil achtete er ihn dafür. Omar war un uomo d’onore. Nicht mit einer Geisel, dessen Leben in seiner Hand lag, wollte er sich messen, sondern mit einem freien Mann, auf ehrenvolle Weise von gleich zu gleich. Mit nichts hätte Martens Omar mehr beleidigen können, als wenn er ihn absichtlich hätte gewinnen lassen.
Er fand einen besonders schweren Stein, der aber gut zu greifen war. Omar und die anderen Männer maßen den Stein mit gleichmütigen Blicken, sie ließen sich nichts anmerken. Ihre Körper waren für solche Gewichte nicht geschaffen, ihre erstaunliche Kraft lag in den Beinen. Auf Märschen war Martens ihnen unterlegen, noch nach sieben Stunden Weg schritten sie mit federndem Gang eine Anhöhe hoch, während er unterhalb des Nabels nur noch aus Matsch bestand. Sie waren zähe, ausdauernde Marschierer, aber wenn es darum ging, einen Sack Reis hochzuheben, sah man ihnen die Anstrengung an. Martens trieb keinen Sport, und obwohl er in den vergangenen Wochen abgenommen hatte, trug er doch noch viel Überflüssiges mit sich. Aber selbst ohne Training war sein Thorax kräftiger als der dieser Männer, seine Arme dicker, er war, oberhalb des Nabels,
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