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Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Titel: Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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Kafir entschuldigte sich dafür, dass er sie geweckt hatte? Was waren das nur für seltsame Menschen!
    Sie übersetzte Martens, was Dilawar sagte.
    Du hast heute den Wettkampf verloren, sagte er. Omar hat gewonnen. Er hat den Stein am weitesten geworfen.
    Omar nickte. Er ließ die Misbaha durch seine Finger gleiten, abends sah man ihn selten ohne Gebetskette.
    Wenn man einen Stein sucht, der für die anderen zu schwer ist, sagte Dilawar zu Martens, sucht man sich immer einen, der auch für einen selbst zu schwer ist. Aber das merkt man erst, wenn man ihn selber werfen muss. Dann merkt man, dass man seine eigene Kraft überschätzt hat. Wenn du der bist, der den Stein bestimmen kannst, der geworfen wird, musst du einen wählen, von dem du denkst, dass er für die anderen zu leicht ist. Dann wirst du gewinnen. Merk dir das.
    Grube
    Am nächsten Morgen machten die Männer sich fein, unter einer frischen, kühlen Sonne, Vögel vollführten am Himmel Kapriolen. Die Männer benetzten ihre Gesichter mit Wasser, Bürsten und kleine Spiegel tauchten auf, aus Kämmen wurden die Haare gezupft. Yousef umrandete seine Augen mit einem Kajalstift, und Dilawar prüfte den Sitz seiner Weste, strich sich das lange Hemd glatt und setzte seine Sonnenbrille auf. Er drängte zum Aufbruch, aber die anderen waren noch nicht so weit, die Turbane waren noch nicht gebunden. Khyber schnippte mit einer Schere noch an Omars Bart herum, der während der langen Zeit in den Bergen verwildert war. Mirwais polierte mit dem Ärmel das Glas seiner Armbanduhr. Ehsanullah kam hinter einem Busch hervor und säuberte seine linke Hand am Fell des Esels, was Unmut hervorrief.
    Sie wollen nicht mit ihm ins Dorf, sagte Pason, er ist schmutzig. Sie wollen, dass er hierbleibt.
    Und ich?, fragte Martens.
    Du musst mitkommen ins Dorf, sagte Pason.
    Sie schulterten ihre Kalaschnikows, aber sie nahmen auch die schweren Waffen mit, das Maschinengewehr und die Bazooka, sie wollten im Dorf alles zeigen, was sie hatten, auch die vier Munitionsgürtel. Dilawar hatte sie Mirwais und einem anderen umgehängt, und nun gingen die beiden geschmückt mit den Gürteln voran. Dahinter Martens als Gefangener.
    Sie stiegen auf dem schmalen Fußpfad hinunter, und bald öffnete sich der Blick auf ein Hochtal mit buschigen Obstbäumen und kleinen Weizenfeldern. Einstöckige Lehmhäuser entlang der Flusssenke, manche der flachen Dächer grasbewachsen. Rauch stieg auf, Hunde schlugen an, Kinder rannten über die Felder ins Dorf, um die Ankunft der Männer zu melden.
    Von einer Anhöhe aus erkundete Omar mit dem Fernglas das Dorf und dessen Umgebung, er ließ sich viel Zeit. Dilawar rief einen Namen ins Funkgerät, erhielt aber keine Antwort. Eine Straße war nicht zu sehen.
    Nach einer Weile traten zwischen den Bäumen am Fluss drei Männer hervor, umsäumt von Kindern. Einer der Männer hob von Weitem die Hand. Dilawar lud sein Gewehr durch, das war das Zeichen für Omar und die anderen, es auch zu tun – dem metallischen Ratschen folgte eine merkwürdige Stille. In der Ferne bei den Bäumen warteten die Männer, die Blätter funkelten im Wind.
    Es waren die Dorfältesten, einem fehlte ein Auge, sein anderes war lebhaft und ängstlich. Er umarmte Dilawar, zwei angedeutete Wangenküsse, dann umarmte er Omar, er schien sich in der Hierarchie auszukennen. Omar küsste ihm die Hand. Die Kinder starrten Martens an, sein Lächeln erwiderten sie nicht. Sie wussten nicht, was ihnen gestattet war und was nicht, und so standen sie einfach da und starrten. Einer der Alten zog sein Hemd hoch und zeigte eine Narbe, einen wulstigen Krater über seinem Nabel, er erklärte ihn wortreich. Dilawar nickte und legte dem Mann beruhigend die Hand auf die Schulter.
    Das Dorf klebte an dem schmalen Fluss, jedes Haus drängte zum Wasser, und da zwischen Fluss und Bergflanke wenig Platz war, fehlte dem Dorf die räumliche Tiefe. Wenn sich die Dorfbewohner, die Männer, versammeln wollten, mussten sie auf einen steinigen Platz am Ende des Dorfes ausweichen, hier gab es ein wenig Weite. Es war ein bedrückender Platz, da kein Weg von ihm weiterführte, eine Sackgasse, begrenzt von einem felsigen Ausläufer des Hangs. Etwa dreißig Männer standen da, nicht allen gelang es, ihr Unbehagen zu verbergen.
    Sind es Tadschiken?, fragte Martens Pason.
    Es sind Tadschiken, sagte sie.
    Und was ist das?, fragte Martens. Dieses Loch?
    In der Mitte des Platzes war ein Loch ausgehoben worden, zwei Schaufeln lagen noch

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