Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Titel: Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
Vom Netzwerk:
krähte, und über den Bergen zogen weiße Wolken vorbei.
    Weg zur Wasserquelle
    Drei Tage danach rasteten sie bei einem Haus, das hinter Büschen verborgen am Rand einer Schlucht stand. Es war ein kleines Haus mit nur einem Zimmer, in dem es aber mehrere Schlafmatten und sogar ein aus dicken Ästen und Brettern gezimmertes Bettgestell gab. Als Dilawar sich daraufsetzte, zerbrachen unter seinem Gewicht die Holzlatten, er fiel mit dem Hintern durch die Bretter auf den Boden. Dilawars erschrockenes Gesicht löste bei den Männer einen Lachanfall aus, sie konnten sich gar nicht mehr erholen. Omar ahmte den Vorfall nach, er tat, als würde er sich auf etwas setzen, er imitierte die Knackgeräusche des brechenden Holzes und Dilawars Gesichtsausdruck, und nun lachte auch Dilawar Tränen.
    Martens ging nach draußen, es hatte keinen Sinn, hierzubleiben, wenn man nicht mitlachen konnte. Es war ein besonders heißer Tag, er setzte sich in den Schatten der Büsche. Ehsanullah lief mit den zerbrochenen Brettern des Bettgestells herum und zeigte sie jedem. Yousef lud den Proviant und das Kochgeschirr vom Esel, aber als er sah, dass Martens allein war, ließ er die Arbeit ruhen und baute sich vor Martens auf. Aus dem Haus klangen die Stimmen von Dilawar, Omar, Mirwais – die Männer, vor denen Yousef sich fürchtete, waren beschäftigt, und Yousef nutzte den Moment. Er schaute Martens an und schob sich die Hand in die Hose. Martens stand auf und setzte sich neben die Tür des Hauses. Yousef konnte ihm hierhin nicht folgen, nicht mit der Hand in der Hose, denn die Tür stand offen, er wäre den Blicken von Dilawar und Omar ausgesetzt gewesen.
    Yousef verschwand in den Büschen, es dauerte nicht lange und er kehrte zurück. Auf dem Weg zum Esel blieb er vor Martens stehen, und damit keiner es durchs Fenster sehen konnte, duckte er sich und schmierte Martens etwas Feuchtes ins Gesicht. Es war Yousefs Auswurf.
    Spaey!, sagte Martens. Pason hatte ihm das Wort beigebracht: Hund.
    Yousef grinste.
    Martens rieb sich das Sperma mit dem Ärmel aus dem Gesicht, aber nun war der Ärmel befleckt.
    Ohne Eile lud Yousef die restlichen Säcke vom Esel, er drehte sich zu Martens um und griff sich zwischen die Beine. Ihm jetzt einen Stein in die Fresse schlagen! Yousefs vor Erregung entstelltes Gesicht, als er seine Steine auf die Frau geworfen hatte in dem Dorf, diese Fratze.
    Aber was konnte man ihm vorwerfen? Yousef hatte es mehr Freude bereitet als den anderen, aber die anderen hatten ihre Steine auch geworfen. Für die Frau hatte es keinen Unterschied gemacht, ob der Stein, der ihre Schläfe traf, von Yousef stammte, der es genoss, oder von Dilawar, der seine Steine mit wenig Wucht geworfen hatte, aus dem Handgelenk heraus, fast widerwillig, während Yousef und Omar weit ausgeholt, die ganze Kraft ihrer Körper in den Wurf investiert hatten, aber Omar aus anderen Gründen als Yousef. Omar hatte versucht, die Frau tödlich zu treffen, um sie zu erlösen. Pason hatte halbherzig nur einen Stein geworfen und war dann selber an der Schulter getroffen worden vom Fehlwurf eines Dorfbewohners, der sich, als sie sich nach ihm umdrehte, hinter den anderen versteckt hatte aus Angst, sein Missgeschick könne ihm als Angriff ausgelegt werden. Die Steine waren geworfen worden von bereitwilligen Händen, aber auch die aus weniger eifrigen Händen geworfenen hatten die Frau getroffen. Für sie hatte es keinen Unterschied gegeben zwischen gemäßigten und radikalen Steinwerfern. Man konnte Yousef nicht vorwerfen, dass er die Strafe, die die Scharia bei Ehebruch verlangte, mit größerer Lust vollzogen hatte als Pason. Keinem der Männer konnte man etwas vorwerfen. Keiner hatte willkürlich einen Stein geworfen, sondern in Erfüllung des Gesetzes. Es war ein archaisches, rohes Gesetz, aber es war ihr Gesetz, und es hatte hier dieselbe Gültigkeit wie anderswo die Prinzipien des römischen Rechts. Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein – Martens sah in dieser Sichtweise einen epochalen Fortschritt, aber diese Männer nicht. Aus ihrer Sicht war der ohne Schuld, der sich an die Scharia hielt – er konnte also beruhigt den ersten Stein werfen, ja, er musste es sogar tun, denn andernfalls hätte er sich gegen Gott versündigt.
    Omar kam aus dem Haus, er streckte sich, gähnte, kratzte sich in den Haaren. Ehsanullah brachte ihm einen Eimer Wasser, und Omar tauchte die Hände hinein. Er rieb sich mit dem Finger den Mund aus, zog Wasser durch die Nase,

Weitere Kostenlose Bücher