Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)
daneben. Das Loch war vielleicht einen Meter tief und nicht breiter.
It’s for a bad woman, sagte Pason.
Martens ging zum Fluss, er setzte sich ans Ufer. Er blickte ins Wasser, das sanft über die Steine wellte. Er dachte an das Mädchen im Massengrab, der lebendige kleine Arm unter den Toten. Die Frau in Quatliam, die in den Staub gefallen war. Ihm tat der Magen weh, er trug etwas Übles, Widerwärtiges in sich. It’s for a bad woman. Er konnte es nicht ändern, aber warum war er hier? Er hätte in Berlin bleiben können. Er hätte in Berlin auf YouTube sich einen Film ansehen können, der die Steinigung einer Frau zeigte. Viele, die sich, aus welchen Gründen auch immer, dafür interessierten, taten das. Sie blieben zu Hause, um es sich anzusehen, gemütlich am Schreibtisch mit Blick auf den Garten schauten sie es sich an. Es erschütterte sie, aber auf dem Schreibtisch stand eine Kaffeetasse oder ein Weinglas, und im Garten leckte die Katze sich die Pfoten. Sie schauten es sich an und tranken einen Schluck Wein, und obwohl sie erschüttert waren, schmeckte ihnen der Wein. Und abends sagten sie zu ihren Freunden, die sie zum Essen eingeladen hatten, heute hab ich im Internet eine Steinigung gesehen, es war schrecklich, und die Spaghetti dampften in der Schüssel. Wie klug war es, zu Hause zu bleiben, und wie dumm, es nicht zu tun. Der Fluss zog an den Lehmhäusern vorbei, träge und geduldig, er hatte es nicht eilig, alles geschah nach uraltem Maß. It’s for a bad woman, und Martens war freiwillig hierhergekommen, dadurch wurde er mitschuldig an allem, was hier geschah. Es gab keinen unbeteiligten Beobachter, es hatte nie einen gegeben, nicht in Liberia, nicht im Sudan, nicht in Ruanda, Tuzla, nirgends.
Steh auf. Geh hin und schau es dir an.
Sie brachten die Frau, sie trug eine blaue Burka. Omar sprach zu den Männern, er führte das Wort. Der Name Gottes fiel so oft, wie jeder hier ihn hören wollte. Sie bekamen nicht genug davon, denn es gab hier keine andere Instanz außer Gott. Es gab keinen Richter, auch Omar war keiner, er war kein Qadi, kein Mullah, seine Autorität beruhte darauf, dass keiner sie ihm streitig zu machen wagte.
Die Frau brach zusammen. Die zwei Dorfbewohner, die für sie zuständig waren, wussten nicht, ob sie sie liegen lassen durften. Omar sagte, nein. Sie hoben sie hoch, aber sie war bewusstlos und zu schwer für sie, sie mühten sich ab, schleiften sie über den Boden zum Loch, es war ein unwürdiger Anblick. Dilawar sagte etwas, und die Männer ließen die Frau wieder fallen, sie lag auf dem Bauch auf der Erde, der Saum ihrer Burka war hochgerutscht, man sah, dass sie darunter eine graue Trainingshose trug. Einer der Dorfmänner trat aus den Reihen der Umstehenden und zog ihr den Saum über den Knöchel. Sie hatte eine Sandale verloren, die ließ er liegen.
Omar passte es nicht, dass die Frau bewusstlos war, er machte den Einäugigen verantwortlich, der aber nicht wusste, was er tun sollte.
Sie kommen in ein Dorf. Sie sind bewaffnet, und die Dorfbewohner haben Angst. Sie sagen: Seid willkommen! Esst, nehmt euch alles, was ihr braucht, wir sind alle in Gottes Hand! Wir sind alle gute Muslime, wir halten die Gebete ein, es gibt hier sogar einen Koran, wollt ihr ihn sehen? Aber was sollen wir mit dieser Frau tun, mit der Ehebrecherin, sie heißt Fairuza, und sie hat ihren Mann betrogen, wir wissen nicht, mit wem. Aber jetzt, wo ihr hier seid, ihr tapferen Mudschaheddin, richtet sie nach dem Gesetz!
Die Frau kam zu sich, aus eigener Kraft kam sie auf die Beine. Alle atmeten auf, denn es war besser, wenn sie sich in ihr Schicksal freiwillig fügte. Die beiden Männer fassten sie unter den Armen und geleiteten sie zur Grube. Omar hob einen Stein auf, der in seine Faust passte. Er zeigte allen den Stein, solche Steine sollt ihr benutzen, nicht kleiner, nicht größer. Die Männer gingen auseinander, um die richtigen Steine zu suchen, Omar wachte darüber. Nein, der ist zu groß, hast du keine Augen im Kopf, nimm den! Die Frau setzte sich an den Rand der Grube und stieg hinein. Bis zur Brust war sie nun begraben. Ein Hund kam hinzu und schnüffelte an ihr, Omar trat ihn in die Flanke, der Hund krümmte sich und sprang ein paar Schritte weg. Mit hängendem Kopf blieb er stehen. Träge drehte er sich nach der Frau um. Es roch nach Gebackenem, nach Fladenbrot, keine andere Frau war zu sehen, kein Kind, hinter den Mauern der Häuser wurde das Essen für die Gäste gekocht. Ein Hahn
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