Das Leuchten
noch jede Menge Arbeit zu erledigen hatte.
Als wir uns der großen, pulsierenden Glocke näherten, entspannte sich ihre Miene. »Das ist wunderschön.«
»Dad hat es nach dem Vorbild der wirbellosen Tiere gebaut, die hier unten leben. Meistens orientiert er sich an Quallen. Solche Formen sind im Wasser am besten geeignet.«
»Dein Vater hat all die Gebäude hier unten entworfen?«
»Nicht alle, aber viele.« Dachte sie etwa, ich wollte angeben? Ich fühlte mich zu einer Erklärung genötigt. »Meine Eltern gehörten zu dem Forscherteam, das die ersten Anwesen errichtet hat. Mum ist Spezialistin in Aquakultur. Das ist der Fachbegriff für Tiefseelandwirtschaft.«
Wir fuhren an unserem Haus vorbei. Durchsichtiger Kunststoff hüllte das schwimmende Gebäude ein, und wabenartige Wände, die mit aufgeschäumtem Metall gefüllt waren, verliehen ihm seine Form. Ich lenkte das Boot an ein großes Sichtfenster und zeigte auf den Wohnraum dahinter.
»Siehst du, wir leben gar nicht so viel anders als ihr.«
Gemma zog die Augenbrauen hoch. »Ja, klar. Bei uns schwimmen auch vor jedem Fenster Fische vorbei.«
»Okay, mal davon abgesehen.« Ich ließ das Boot durch einen Schwarm Roter Schnapper in die Tiefe sinken.
»Mal davon abgesehen«, ahmte sie mich nach, »ist euer Haus wie jede Wohnung in einer Schachtelstadt. Nur dass ein Zimmer hier so groß ist wie dort ein ganzes Apartment. Und dass es nicht in einen mit düsteren Graffiti besprühten Betonturm eingezwängt ist.«
»So schlimm kann es doch gar nicht sein.«
»Natürlich nicht, manche Leute haben zwei Zimmer«, sagte sie schnippisch, aber dann wurde sie ernst. »Die meisten Menschen leben in billigen Wohnungen unterhalb von beweglichen Gehwegen und Eisenbahnröhren, wo es immer schattig ist.« Sie betrachtete das viele Grün. »Eigentlich sind wir da oben das Dunkle Leben.«
In einem Hangar unter dem Haus war eine Erntemaschine vertäut. Ich drückte auf einen Knopf der Instrumententafel und das große Boot schwebte auf die leuchtende Öffnung an der Unterseite des Gebäudes zu.
»Das ist der Moonpool«, erklärte ich auf ihren fragenden Blick hin. »Eine Art Taucherglocke. Das Haus steht unter einem sehr hohen Druck, damit das Meer nicht eindringen kann.«
Wir tauchten in dem kreisrunden Raum des Moonpools auf. Durch die Wände aus Metallschaum schimmerte das Wasser von draußen, sodass der Feuchtraum wie durchnässt wirkte.
»Ich kapiere es immer noch nicht«, sagte Gemma. »Weshalb läuft der Pool nicht über?«
»Hast du jemals einen Eimer verkehrt herum unter Wasser gedrückt?« Ich ließ die Luke aufspringen, dann blickte ich zu Gemma hinüber und sah, dass sie nickte. »Der Eimer ist unser Haus«, erklärte ich, während ich hinausstieg und auf der gekrümmten Fahrzeugfläche balancierte. »Die Luft, die im Inneren eingeschlossen ist, verdrängt das Wasser und lässt es nur bis zu einer gewissen Höhe steigen.«
»Bis der Eimer umkippt«, bemerkte Gemma nervös, während sie in der Luke stand und sich umblickte.
»Unser Haus kippt nicht um«, versicherte ich ihr. »Metallketten halten es im Gleichgewicht, und diese Ketten sind fest im Meeresboden verankert.«
Über uns lief ein Steg an den runden Wänden entlang. Wären wir in einem der beiden kleinen Boote gekommen, hätte ich es mit einem Haken aus dem Wasser ziehen müssen. Aber das Familienboot war zu groß, um es im Inneren des Hauses abzustellen.
»Übrigens«, sagte ich, als ich auf den vom Wasser überfluteten Rand des Moonpools sprang, »wir mögen es nicht, wenn man uns das Dunkle Leben nennt.«
»Weil ihr nicht wirklich im Dunkeln lebt?« Misstrauisch musterte sie den Spalt zwischen dem Boot und dem Rand des Pools.
»Nein. Weil es eine wissenschaftliche Bezeichnung für Bakterien ist, die ohne Licht auskommen. Und wir sind keine Bakterien.« Ich durchquerte den Feuchtraum und sagte, ohne mich nach ihr umzudrehen: »Spring einfach.«
Im Betriebsraum überprüfte ich die Monitore, warf einen Blick auf die Wert e – Druck, Atmosphäre, Temperatu r – und vergewisserte mich, dass das Herz unseres Hauses noch richtig schlug. Ich hörte, wie Gemma mit einem Platschen auf der Kante des Moonpools landete. Zufrieden, dass alles im Haus funktionierte, wie es sollte, kehrte ich zu ihr zurück und zeigte ihr, wo sie ihren Helm, ihre Handschuhe und ihre Stiefel ablegen konnte. Dann steckte ich unsere Liquigen-Packungen in die Füllvorrichtungen an der Wand und sagte: »Sie werden automatisch
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