Das Leuchten
drang Tropfen für Tropfen durch die Risse in der Decke und ihr Aufklatschen hallte im Raum wider. In dem hüfthohen Wasser schwammen alte Tauchanzüge und Packungen mit Liquigen, als hätte jemand diesen Ort erst vor Kurzem verlassen. Gemma leuchtete mit der Taschenlampe auf die vergitterte Tür an der gegenüberliegenden Seite, dann auf eine Wand, an der verrostete Handschellen an Haken hingen.
Ich ging hinüber, um sie mir genauer anzusehen. Die Ketten zwischen den Handschellen maßen fast einen Meter. »Weshalb sind die denn so lang?«
»Damit die Sträflinge arbeiten konnten«, sagte Gemma. »In dem Wohnblock vor uns ist ein Zuchthaus. Jeden Tag schubsen die Wachen Männer in die Außenaufzüge und bringen sie hinunter in die dunklen Gassen.« Sie fuhr mit der Hand über eine der Ketten. »Die Gefangenen tragen Handschellen wie diese. Damit können sie den Müll einsammeln.«
»Die Gefangenen hier haben auch etwas eingesammelt.« Ich zog ein Sieb aus dem Wasser und strich über die weiten Maschen. »Sie haben nach Schwarzen Perlen geschürft.«
»Das klingt doch gar nicht so übel.«
»Möchtest du den ganzen Tag lang auf dem Boden kauern und Schlamm durchsieben?«
»Na ja, so gesehe n …«
»Das ist Knochenarbeit.«
»Wahrscheinlich hatten die Verbrecher die Schinderei satt und sind deshalb geflohen«, sagte sie. Die Vorstellung schien ihr zu gefallen.
»Oder sie konnten den Lärm nicht mehr ertragen.« Das Quietschen und Knarren ging mir schon die ganze Zeit auf die Nerven. Jede Bewegung im Wasser oder im Schlamm brachte die Metallhülle des Gebäudes zum Schwingen und presste sie zusammen. Vielleicht war das Gebäude absichtlich so gebaut worden, als Teil der Strafe für die Gefangenen. Wer wollte schon in rechteckigen Räumen mit starren Wänden wohnen? Das war nicht normal.
Ich stapfte in das nächste Zimmer, die Wachstube, und untersuchte die halb unter Wasser stehenden Schränke.
»Was machst du da?«, fragte Gemma. Der Strahl der Taschenlampe ließ die scharfen Kanten der rostfreien Stahlmöbel aufblitzen.
»Ich sehe mich um.« Alle Schubladen waren leer.
»Oh nein, das machst du nicht!« Sie schwang sich auf einen Metalltisch, der vom Wasser bedeckt war. Mit ihren übergeschlagenen Beinen sah sie aus, als säße sie bei einem Teekränzchen, nur dass sie bis zur Taille im Meerwasser steckte. Sie sah mich erwartungsvoll an.
»Was ist?«
»Erzähl mir von deiner Dunklen Gabe.«
Ich überlegte, ob ich einfach sagen sollte, ich hätte gelogen, um sie aus dem U-Boot herauszukriegen. Aber ein Blick in ihr Gesicht genügte, um zu erkennen, dass dies sinnlos gewesen wäre.
»Warum verheimlichst du sie?«
Ich ging zu der offenen Hintertür, aber Gemma war schneller als ich. Sie sprang vom Tisch herunter und versperrte mir mit ausgestreckten Armen den Weg.
»Was ist denn schon dabei, wenn die Leute wissen, was du Cooles kannst?«
»Dann verlassen alle Pioniere das Meer und es kommen auch keine neuen Siedler mehr nach.« Ich duckte mich unter ihrem Arm hindurch und watete in den dunklen Korridor. »Meine Eltern haben schwer geschuftet für das, was wir besitzen«, sagte ich über die Schulter hinweg, »wie alle, die hier unten leben. Meinst du, ich will daran schuld sein, dass ihre Arbeit umsonst war?«
Sie hielt mich fest. »Sag mir wenigstens, wie es passiert ist. Bist du einfach eines Morgens aufgewacht und hast festgestellt, dass du mit Delfinen reden kannst?«
»Ich kann nicht mit ihnen reden.« Sie sah mich erwartungsvoll an. »Also gut. Delfine und Wale können mein Schnalzen hören. Und wenn ich ihr Schnalzen höre, weiß ich, was es zu bedeuten ha t – Freude, Gefahr, Futter. Aber wir führen keine richtige Unterhaltung.«
Auf dem Gang reihte sich eine verschlossene Tür an die ander e – wir waren in einem Zellentrakt. Ich versuchte, die erste Tür auf der rechten Seite zu öffnen, doch sie war verschlossen. Gemma leuchtete mir wie in einem Verhör mit der Taschenlampe ins Gesicht.
»Ist ja gut«, gab ich nach und hielt schützend die Hand vor die Augen. »Es ist nicht über Nacht passiert. Als ich neun Jahre alt war, wurde es immer lauter im Meer. Aber das fiel niemandem außer mir auf. Ich hörte im Wasser immer mehr Geräusche, also dachte ich zuerst, mein Gehör hätte sich verbessert. Nach einer Weile konnte ich ein Geräusch von seinem Echo unterscheiden. Also fing ich an, Geräusche zu machen und auf diese Weise Entfernungen abzuschätzen. Dann, eines Tages, kam alles
Weitere Kostenlose Bücher