Das Leuchten
den Raum. Und noch ehe ich das Geräusch genauer orten konnte, war es schon wieder verhallt.
Ich verharrte in der Hoffnung, dass es keine Einbildung gewesen war. Dann ertönte das Geräusch ein zweites Mal. Ich hörte es schon, als es noch im Anrollen war, und entspannte mich. Irgendwo dort draußen, nicht allzu weit entfernt, sang ein Buckelwal. Ich schloss die Augen und ließ den Gesang durch mich strömen. Hoffentlich hörte es Gemma ein Stockwerk über mir auc h – und hoffentlich tröstete sie das Lied des Wals genauso wie mich.
Als der Buckelwal das nächste Mal zu singen begann, rechnete ich mir aus, dass das Tier ungefähr eine Seemeile entfernt war und sich näherte. Mir kam eine Idee. Eine verrückte, wunderbare Idee. Ich schwamm durch den Aufzugschacht hinauf und streckte gerade in dem Moment den Kopf aus dem Wasser, als der Gesang des Wals wieder verklang.
Da hörte ich, wie Gemma um Hilfe rief.
Ich ließ mich nach unten sinken und schwamm in die Wachstation. Lautlos tauchte ich dort auf und sah, wie sie zusammengekauert auf dem Tisch saß. Vor Schreck ließ sie die Lampe fallen und zog ihr Jademesser.
»Gemma, ich bin’s!« Ich beeilte mich, meinen Helm abzunehmen. »Was ist los?«
»Warum kommst du nicht wie jeder andere Mensch durch die Tür?«, fragte sie und schnappte nach Luft.
»Ich kann schneller schwimmen als laufen. Ist alles in Ordnung?«
Der Wal begann wieder zu singen. Gemma umklammerte meinen Arm.
»Hörst du das?« Sie drehte sich um die eigene Achse und lauschte, woher das Geräusch kam.
Jetzt verstand ich, wovor sie sich fürchtete. »Lass mich raten. Du glaubst, das ist ein Geist?«
Langsam hellte sich ihre Miene auf. Jetzt hatte auch sie begriffen, wer da sang. »Das ist ein Wal, nicht wahr? Ein dummer Wal.«
»Wale sind nicht dumm«, sagte ich amüsiert.
Sie zog die Augenbrauen hoch und zeigte auf den Korridor, wo ein leuchtendes Pünktchen durchs Wasser schoss. »Ich nehme an, du weißt auch, wa s …«
»Ein Laternenfisch.«
Vielleicht hätte ich ihr nicht so besserwisserisch ins Wort fallen sollen, denn sie verzog verärgert das Gesicht, als hätte ich den Fisch herbeigezaubert, um ihr Angst einzujagen.
»Du hast mich gebeten, dich allein zu lassen«, erinnerte ich sie.
»Ich konnte ja nicht wissen, dass mich gleich so ein glühendes Ding jagen würde. Und dann noch dieses unmenschliche Geheule. Das hätte jeder für einen Geist gehalten.«
»Es hat dich gejagt?«
Sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt, ihr war unverkennbar nicht zum Lachen zumute. »Du wusstest doch, dass ich mich schon nach fünf Sekunden zu Tode ängstigen würde, oder nicht?«
»Nein, das wusst e …«
Zornig unterbrach sie mich. »Und dann wolltest du zurückkommen und deinen Helm abnehmen, damit du dich über das dumme Topsider-Mädchen totlachen kannst.«
»Wenn ich das vorgehabt hätte, dann hätte ich auch noch meine Freunde mitgebracht.« Ich hob die Taschenlampe auf und gab sie ihr zurück. Wieder erklang der Gesang des Wals, diesmal lauter. »Komm. Er ist schon fast da.«
Ich nahm sie an die Hand und zog sie zum Aufzugschacht, froh darüber, dass sie mir die Hand nicht entriss. »Wale sind neugierig.« Ich setzte meinen Helm auf. »Wenn wir nach draußen gehen und unsere Stirnlampen anschalten, kommt er vielleicht auf eine Stippvisite vorbei.«
»Warum, um Himmels willen, sollten wir das tun?«
Ich setzte ihr den Helm auf und verriegelte ihn. »Lass dich einfach nach unten treiben«, forderte ich sie auf.
Gemeinsam pumpten wir unsere Lungen mit Liquigen voll, dann sprangen wir ins Wasser des Schachts. Sobald wir im Freien waren, hörte man den Gesang des Wals noch deutlicher. Gemma presste die Hände an den Helm, als wollte sie sich die Ohren zuhalten. Unterdessen wickelte ich die Reißleine an meinem Gürtel auf. Sie hatte Schnappverschlüsse an beiden Enden und war mit weichem Gummi überzogen. Ich machte daraus ein provisorisches Lasso, indem ich eine Schlinge band, und befestigte es an mir. Wie ich sehen konnte, war der Wal noch ziemlich weit weg, er pflügte etwa zehn Meter über dem Meeresboden durchs Wasser.
Weil unsere Stirnlampen ihn nicht dazu bewogen, langsamer zu werden, ahmte ich das kurze Klicken der Wale nach, wenn sie in Gruppen schwimmen.
Und tatsächlich, das riesige Tier hörte auf, durch die beiden Atemlöcher zu singen, und kam mit seinen mehr als dreißig Tonnen Gewicht direkt auf uns zu. Aus der Nähe betrachtet, sah der Wal gar nicht mehr so
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