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Das Licht, das toetet

Titel: Das Licht, das toetet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Derek Meister
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begrüßte ihn seine jüngere Schwester mit „Oh, der Weihnachtsmann.“
    Er klopfte ein paar Mal mit dem Schraubenzieher gegen das Hygrometer, um die dünne Eisschicht abzuschlagen, die sich in der Nacht auf dem Messinstrument gebildet hatte. Die Luftfeuchtigkeit war wie immer sehr niedrig. Alle Feuchte gefror sofort und wurde zu Schnee. Er klappte den Metallkasten der Messstation zu und zog seine Mütze, die er unter der Kapuze trug, tiefer in die Stirn. Trotz der Kälte liebte er die Antarktis. Als sein Institut, das Deutsche Elektronen-Synchrotron DESY, ihm eine Stelle auf dem letzten nahezu unbekannten Kontinent der Welt angeboten hatte, war Daniel begeistert gewesen. Er war dreiunddreißig Jahre alt, notorischer Single und die Forschung am Südpol verhieß sein erstes wirkliches Abenteuer zu werden. Seine Zwei-Zimmer-Wohnung in Berlin hatte er gekündigt und seinen klapprigen, roten VW-Käfer bei einem alten Studienfreund untergebracht, um kurz darauf im Flieger nach Kapstadt zu sitzen. Von dort aus war er so weit wie möglich in den Süden geflogen.
    Vor ihm erstreckte sich eine weiße Wüste. Das Eis und der Himmel verschmolzen nach wenigen hundert Metern zu einem weißen Nichts. Die Basis war durch das Schneegestöber kaum noch zu sehen. Er musste sich beeilen, den letzten Messpunkt abzufahren.
    Daniel stapfte zurück zu seinem Schneemobil. Trotz des nahenden Unwetters band er erst einmal seine Thermoskanne ab. Hastig zog er sie aus der dicken Styropor-Ummantelung und trank gleich aus der Flasche. Der heiße Kaffee tat ihm gut.
    Eigentlich gehörte es nicht zu seinen Aufgaben, die Wetterstationen an den Messpunkten zu kontrollieren, aber seine Kollegin, die schwedische Geo-Wissenschaftlerin Alva Ohlström, war krank und hatte seit ihrer letzten Pokerrunde noch etwas gut bei ihm. Genau genommen hatte sie noch 275 Dollar, drei Fahrten zur Poststation und sieben Tage PSX-Spielen bei Daniel gut. Und Letzteres schmerzte ihn am meisten, denn auf der Amundsen-Scott-Base gab es nur eine Spielkonsole und die Warteliste war derart lang, dass ein Scherzbold sie bis 2020 erweitert und die Namen einfach mit Edding auf den Kühlschrank geschrieben hatte. Wie ärgerlich, dass er seine wenigen Tage an Alva abgeben musste. Daniels Funkgerät knackte.
    „Ja?“
    „Daniel?“
    „Alva? Wow! Rufst du mich schon vom Bett aus an? Ich hab auch gerade an dich gedacht.“
    „Das hättest du wohl gerne.“ Ihr Lachen ging im Husten unter.
    „Du solltest dich wirklich hinlegen, Alva.“
    „Ja, ja.“ Sie klang genervt, aber ihre Worte gingen mehr und mehr in Rauschen unter. „… ich ins Bett und … unbedingt zurück … Basis kommen! Windstärke bis 40 Knoten plus. Du solltest zurück … Wir haben … Und ich denke, wir …“
    Seufzend ließ Daniel seinen Blick über den Schnee wandern.
    Er presste das Funkgerät dichter ans Ohr, weil es immer stärker rauschte. Obwohl er Alva nicht richtig verstehen konnte, hatte er den besorgten Unterton in ihrer Stimme wahrgenommen.
    „Seit wann sorgst du dich so um mich?“, fragte er. „Hat der Sturm euch etwa schon erreicht?“
    „Ja. Danie… Ich meine nicht … Sturm ist …“
    „Ich kann dich kaum verstehen. Alva?“
    „Irgendwas stimmt … Sensoren nicht.“
    „Mit meinen Sensoren?“ Daniel kletterte auf das Schneemobil. „Mit meinen Sensoren? Was soll da nicht stimmen?“
    „… Physiker und nicht ich. Wir haben … Anomalie … Hier ist was faul, Daniel. Die Werte deiner Sensoren … irgendwie … ungewöhnlich. Daniel?“
    „Definier mal ungewöhnlich .“
    „Ich … Kann ich nicht. Musst … die Anomalie ansehen … Dozer war hier und … Ärger, aber …“ Das Rauschen überlagerte ihre Stimme.
    „Alva? Bitte kommen. Alva? Was für eine Anomalie? Alva?“ Er horchte, aber außer einem Krächzen und Knacken drang nichts mehr aus dem Funkgerät. „Bitte kommen. Verbindung abgebrochen, Alva. Ich höre dich nicht mehr. Wiederhole: Verbindung abgebrochen. Ich mache mich auf den Weg. Nehme die östliche Route zu euch.“ Er wollte das Funkgerät schon zurück an seinen Gürtel stecken, als ihm noch etwas einfiel: „Lass Dozer bloß nicht an die Computer, hörst du! Und mach dir – mach dir ’nen Tee.“
    Er hakte das Funkgerät ein, verstaute die Thermoskanne und startete mit dem Daumengashebel den Motorschlitten.
    Als sei er im Stadtverkehr unterwegs, sah er sich artig um, bevor er den dunklen Wolken, die bereits über der alten Kuppel und den neuen Gebäuden der

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