Das Licht der Flüsse
am Ufer nach, bis wir hinter der Biegung verschwanden. In den Träumen jenes Kindes sind
wir wohl noch nächtelang weitergepaddelt.
Sonne und Regen wechselten wie Tag und Nacht, verlängerten die Stunden durch ihren Wechsel. Wenn die Regenschauer heftig waren,
konnte ich spüren, wie jeder einzelne Tropfen durch die Jacke auf meine warme Haut fiel; die Anhäufung dieser kleinen Schocks
brachte mich fast um denVerstand. Ich entschloss mich, in Noyon einen Regenmantel zu kaufen. Nass zu werden ist harmlos, doch die Qual dieser gleichzeitig
auf meinen ganzen Körper niederprasselnden kalten Nadelstiche ließ mich wie ein Wahnsinniger mit dem Paddel auf das Wasser
schlagen. Der Kapitän der
Cigarette
amüsierte sich prächtig über diese Aufwallungen. So bekam er etwas anderes zu sehen als Lehmufer und Weiden.
Die ganze Zeit über schlich der Fluss wie ein Dieb an geraden Stellen entlang oder schwang sich rasant um die Kurven; die
Weiden nickten und wurden pausenlos unterspült, die Lehmufer rutschten ab; die Oise, die so viele Jahrhunderte lang das Goldene
Tal erschaffen hatte, schien es sich anders überlegt zu haben und entschlossen zu sein, das Hervorgebrachte zu zerstören.
So zahlreich sind die Werke, die ein Fluss vollbringen kann, indem er einfach in der Unschuld seines Herzens der Schwerkraft
gehorcht!
Die Kathedrale von Noyon
Noyon liegt ungefähr eine Meile vom Fluss entfernt auf einer kleinen Ebene, umgeben von bewaldeten Hügeln, und bedeckt eine
große Fläche mit seinen Ziegeldächern, die von einer langen rechteckigen Kathedrale mit zwei spitzen Türmen überragt werden.
Als wir die Stadt erreichten, schienen die Dächer übereinander den Hügel hinaufzupurzeln, in einer überaus merkwürdigen Unordnung;
doch sosehr sie sich auch abmühten, reichten sie doch nicht höher als bis an die Knie der Kathedrale, die aufrecht und feierlich
über allem stand. Als die Straßen über dem Marktplatz unterhalb desHôtel de Ville diesem präsidierenden Genius näher kamen, wurden sie verlassener und ruhiger. Leere Fassaden und geschlossene
Fensterläden wandten sich dem großen Gebäude zu, und auf dem weißen Fußweg wuchs Gras. »Ziehe deine Schuhe von deinen Füßen,
denn der Ort, auf dem du stehst, ist heiliger Boden.« Das Hôtel du Nord zündet dennoch seine weltlichen Kerzen keinen Steinwurf
von der Kirche entfernt an, und wir hatten deren prächtigen Ostflügel jeden Morgen vom Fenster unseres Zimmers aus vor Augen.
Selten habe ich den Ostflügel einer Kirche mit größerem Mitgefühl betrachtet. Indem seine drei breiten Terrassen weitflächig
auf den Boden stoßen, sieht er aus wie das Achterdeck eines großen alten Kriegsschiffes. Die hohlen Strebepfeiler tragen Vasen,
die man für Hecklaternen halten könnte. Die Wölbung im Boden und die Türme, die genau über der Dachspitze erscheinen, lassen
das gute Schiff träge über eine atlantische Dünung sich neigen. Jeden Augenblick könnte es sich hundert Fuß weit entfernen,
um den nächsten Wellenkamm zu erklimmen. Jeden Moment könnte sich ein Fenster öffnen, ein alter Admiral seinen Dreispitz herausstrecken
und seine Beobachtungen machen. Die alten Admirale befahren nicht mehr die Meere; die alten Kriegsschiffe sind allesamt abgewrackt
und existieren nur noch auf Gemälden; lange bevor man an jene auch nur dachte, war das hier bereits eine Kirche, ist immer
noch eine Kirche und eine wackere Erscheinung an der Oise. Die Kathedrale und der Fluss sind wohl die beiden ältesten Dinge
im Umkreis von Meilen, und gewiss haben beide ein eindrucksvolles Alter erreicht.
Der Mesmer führte uns hinauf in die Spitze eines der Türme zu den fünf Glocken, die dort hingen. Von oben bildetedie Stadt ein Mosaik aus Dächern und Gärten; der frühere Verlauf der Stadtmauer war deutlich zu erkennen, und der Mesmer zeigte
uns weit jenseits der Ebene, in einem Stück leuchtend blauem Himmel zwischen zwei Wolken, die Türme von Château de Coucy.
Ich glaube, große Kirchen werden mir nie langweilig. Sie sind meine bevorzugte Art von Berglandschaft. Die Menschheit erhielt
nie eine glücklichere Inspiration als zum Bau einer Kathedrale: Auf den ersten Blick scheint sie aus einem Stück zu bestehen
und ist trügerisch wie eine Statue, doch wenn man genauer hinsieht, sind ihre Details so lebendig und interessant wie die
eines Waldes. Die Höhe der Türme ist durch Trigonometrie nicht zu fassen; ihr Maß ist lächerlich
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