Das Licht der Flüsse
Musik noch die richtige Theologie fürMänner und Frauen, die mittlerweile die meisten Übel hinter sich gebracht und sich eine eigene Meinung zum tragischen Teil
des Lebens gebildet hatten. Jemand, der reich an Jahren ist, kann für gewöhnlich sein eigenes
Miserere
fabrizieren, obwohl ich festgestellt habe, dass diese Leute oft
Jubilate Deo
für ihren alltäglichen Gesang bevorzugen. Im Großen und Ganzen besteht die frommste Übung für Ältere darin, sich ihrer persönlichen
Erfahrungen zu erinnern: so viele Freunde gestorben, so viele Hoffnungen enttäuscht, so viele Ausrutscher und Stolperer und
trotz allem so viele heitere Tage und so freundliche Vorsehung; aus alldem könnte man sicher eine überaus eloquente Predigt
machen.
Letztlich überkam mich eine außerordentlich feierliche Stimmung. Auf der kleinen malerischen Karte unserer langen Flussfahrt,
die ich immer noch in meiner Erinnerung bewahre und manchmal entfalte, um mich über ungewöhnliche Eindrücke zu amüsieren,
nimmt die Kathedrale von Noyon einen absurd großen Platz ein, fast so groß wie ein Landkreis. Ich sehe dann die Gesichter
der Priester vor mir, als stünden sie an meiner Seite, und höre das
Ave Maria, ora pro nobis
durch die Kirche hallen. Ganz Noyon wird von diesen überragenden Erinnerungen dominiert, und es liegt mir nichts daran, anderes
über diesen Ort zu erzählen. Er war bestenfalls eine Ansammlung brauner Dächer, unter denen die Leute überaus anständig und
friedlich lebten; doch wenn die Sonne sinkt, fällt der Schatten der Kirche auf sie, und die fünf Glocken, die vom Beginn des
Orgelspiels künden, werden in allen Stadtteilen vernommen. Falls ich mich je der Kirche von Rom anschließe, dann nur unter
der Bedingung, dass man mich zum Bischof von Noyon an der Oise ernennt.
Die Oise hinunter: Nach Compiègne
Auch die geduldigsten Menschen haben irgendwann genug davon, unaufhörlich vom Regen durchnässt zu werden, außer natürlich
im Schottischen Hochland, wo es nicht ausreichend Schönwetterperioden gibt, um den Unterschied zu bemerken. Dies war auch
bei uns der Fall an dem Tag, als wir Noyon verließen. Ich erinnere mich an nichts von dieser Fahrt; da waren nur Lehmufer
und Weiden und Regen, unablässiger, erbarmungsloser, prasselnder Regen, bis wir bei einem kleinen Wirtshaus in Pimprez, wo
der Kanal ganz nahe am Fluss verläuft, haltmachten, um zu essen. Wir waren so jämmerlich durchnässt, dass die Wirtin für uns
ein paar Scheite im Kamin anzündete; dort saßen wir in einer Wolke aus Wasserdampf und klagten unser Leid. Der Ehemann hängte
sich eine Tasche um und ging auf die Jagd, die Ehefrau saß in sicherer Entfernung und beobachtete uns. Ich denke, wir waren
wirklich bühnenreif. Wir schimpften über unser Unglück in La Fère und sahen weitere La Fères für die Zukunft voraus, obwohl
es besser lief, wenn der Kapitän der
Cigarette
als Sprecher fungierte. Er war im Allgemeinen selbstbewusster als ich und hatte eine träge und überzeugende Art, eine Wirtin
so anzusprechen, dass sie die Kautschuktaschen erst gar nicht bemerkte. Als wir über La Fère sprachen, fielen uns die Reservisten
ein.
»Ein Reservistenmanöver«, sagte er, »scheint doch eine ziemlich üble Methode zu sein, die Herbstferien zu verbringen.«
»Ungefähr so übel wie Kanufahren«, erwiderte ich niedergeschlagen.
»Die Herren reisen zum Vergnügen?«, fragte die Wirtin mit unbewusster Ironie.
Das war zu viel. Uns fiel es wie Schuppen von den Augen. Ein weiterer Regentag, so wurde beschlossen, und wir würden die Boote
auf den Zug verladen.
Das Wetter verstand den Wink. Wir wurden kein weiteres Mal durchnässt. Am Nachmittag klarte es auf: Immer noch zogen große
Wolken über das Firmament, aber nur noch vereinzelt und mit reichlich Blau rund um ihre Bahnen; einem Sonnenuntergang in zartestem
Rosa und Gold folgten eine sternenklare Nacht und ein Monat mit beständigem Wetter. Gleichzeitig begann der Fluss uns eine
bessere Aussicht auf das Land zu gewähren. Die Dämme waren nicht mehr so hoch, die Weiden verschwanden vom Ufer, freundliche
Hügel erhoben sich überall entlang seines Laufs und zeichneten ihr Profil an den Himmel.
Nach kurzer Zeit endete der Kanal mit seiner letzten Schleuse, wo die Hausboote auf die Oise entlassen wurden, so dass wir
nicht befürchten mussten, ohne Gesellschaft zu sein. Hier waren all unsere alten Freunde; die
Deo Gratias
aus Condé und die
Vier
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