Das Licht der Flüsse
klein, doch wie groß erscheinen
sie dem bewundernden Blick! Und wo es so viele elegante Proportionen gibt, die auseinander hervorgehen und zu einem Ganzen
verschmelzen, scheint sich das Ebenmaß selbst zu übertreffen und zu etwas anderem und noch Eindrucksvollerem zu werden. Ich
konnte nie ergründen, wie ein Mann den Mut aufbringt, seine Stimme in einer Kathedrale zu erheben und zu predigen. Was könnte
er schon sagen, was hier keine Enttäuschung wäre? Obwohl ich eine unendliche Anzahl unterschiedlicher Kanzelreden gehört habe,
ist mir noch keine untergekommen, die so ausdrucksvoll wie eine Kathedrale gewesen wäre. Sie selbst ist der beste Prediger
und predigt Tag und Nacht; sie kündet nicht nur von der Kunstfertigkeit und dem Menschenstreben vergangener Zeiten, sondern
führt eine jede Seele zu inbrünstiger Anteilnahme oder eher dazu, wie alle guten Prediger, selbst zu predigen – letztendlich
ist jeder Mensch sein eigener Theologe.
Als ich im Laufe des Nachmittags vor dem Hotel saß,strömte der lieblich grollende Donner der Orgel wie eine Aufforderung aus der Kirche. Da ich das Theater so schätzte, beschloss
ich, ein oder zwei Akte des Stückes auszusitzen, doch konnte ich das Wesen der Messe, deren Zeuge ich wurde, nicht ganz begreifen.
Als ich eintrat, sangen vier oder fünf Priester und ebenso viele Chorknaben vor dem Hochaltar das
Miserere
. Da war keine Gemeinde, lediglich ein paar alte Frauen auf Stühlen und alte Männer, die auf dem Steinboden knieten. Nach
einer Weile kam in Zweierreihen ein langer Zug junger Mädchen hinter dem Altar hervor, jedes mit einer brennenden Kerze in
der Hand, jedes in Schwarz gekleidet, mit weißem Schleier, und begann das Mittelschiff hinunterzugehen; die ersten vier trugen
auf einem Tisch die Statue der Jungfrau mit dem Kind. Die Priester und Chorknaben erhoben sich von den Knien und folgten,
wobei sie »Ave Maria« sangen. In dieser Aufstellung gingen sie in der Kathedrale im Kreis und kamen zweimal an der Stelle
vorbei, wo ich an einer Säule lehnte. Der Priester, der sehr bedeutend schien, war ein seltsamer alter Mann, der seinen Blick
gesenkt hielt. Mit bewegten Lippen murmelte er unablässig Gebete; doch als er mich finster ansah, schien es nicht so, als
stünde das Gebet an oberster Stelle in seinem Herzen. Zwei andere, die die Bürde des Gesangs auf sich genommen hatten, waren
stämmige, grobschlächtige, militärisch aussehende Männer um die vierzig, mit verwegenen, übersättigten Augen; sie sangen recht
schwungvoll und trällerten das »Ave Maria« wie ein Kasernenlied. Die kleinen Mädchen waren schüchtern und ernst. Als sie langsam
das Seitenschiff hinaufschritten, warfen sie dem Engländer einen kurzen Blick zu; und eine dicke Nonne, die die Aufseherin
spielte, brachteihn durch ihren starren Ausdruck beinahe aus der Fassung. Was die Chorknaben anging, so waren sie von Anfang bis Ende so ungezogen,
wie nur Knaben sein können, und störten die Darbietung erbarmungslos mit ihren Mätzchen.
Mir leuchtete der Sinn eines Großteils der Vorgänge durchaus ein. Es wäre auch wirklich schwierig, das
Miserere
nicht zu verstehen, das ich für die Komposition eines Atheisten halte. Wenn es überhaupt etwas Gutes an sich hat, sich eine
Verzagtheit so zu Herzen zu nehmen, dann ist das
Miserere
die richtige Musik und eine Kathedrale der passende Ort dafür. So weit bin ich einer Meinung mit den Katholiken – ist das
nicht eine merkwürdige Bezeichnung für sie? Aber warum in Gottes Namen diese Feiertagschorknaben? Warum diese Priester, die
der Gemeinde heimliche Blicke zuwerfen, während sie so tun, als würden sie beten? Warum diese dicke Nonne, die mit ihrer Prozession
so grob verfährt und ungehorsame Jungfrauen am Ellbogen schüttelt? Warum dieses Spucken und Schniefen und Vergessen von Noten
und die tausendundein Missgeschicke, die die mühsam mit Gesang und Orgelklängen aufgebaute Stimmung stören? In jedem Theater
könnten die ehrwürdigen Väter lernen, was man mit ein wenig Kunstfertigkeit zustande bringt und wie notwendig es ist, die
Statisten anzuweisen und jeden Stuhl an den rechten Platz zu rücken, um erhabene Gefühle zu erzeugen.
Noch ein weiterer Umstand machte mir zu schaffen. Ich persönlich konnte ein
Miserere
gut verkraften, da ich in letzter Zeit ausreichend Freiluftübungen absolviert hatte, doch ich wünschte, die alten Leute wären
anderswo gewesen. Es war weder die richtige
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