Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Licht der Flüsse

Das Licht der Flüsse

Titel: Das Licht der Flüsse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
spätere Mahlzeit hat mich deswegen bitter enttäuscht. Schön war die Zeit im »Goldenen Schaf« in Moy.

La Fère: Ort der verfluchten Erinnerung
    Wir verbummelten einen Großteil des Tages in Moy, denn wir liebten es, gelassen zu sein, und verachteten aus Prinzip lange
     Reisen und frühe Aufbrüche. Außerdem lud der Ort zum Verweilen ein. Leute in kunstvollen Jagdanzügen brachen mit Gewehren
     und Jagdtaschen vom Château auf;schon das war ein Vergnügen für sich, zurückzubleiben, während diese eleganten Vergnügungssüchtigen sich in aller Frühe auf
     den Weg machten. Auf diese Weise kann jedermann Aristokrat sein, den Herzog unter Marquis spielen und den regierenden Monarchen
     unter Herzögen, wenn er sie nur an Gelassenheit übertrifft. Eine unerschütterliche Haltung kommt von vollkommener Gelassenheit.
     Ruhige Gemüter können nicht verblüfft oder verängstigt werden, sondern schreiten in ihrem persönlichen Tempo durch Glück und
     Unglück wie ein Uhrwerk während eines Gewitters.
    Wir hatten eine sehr kurze Tagesreise bis nach La Fère, doch es dämmerte bereits und begann leicht zu regnen, bevor wir unsere
     Boote verstaut hatten. La Fère ist eine befestigte Stadt in ebenem Gelände und wird von zwei Schutzwällen umgürtet. Zwischen
     dem ersten und dem zweiten Wall erstreckt sich Ödland mit kleinen Anbauflächen. Hier und da entlang des Weges hingen Plakate,
     die das Betreten im Namen des Militärs verboten. Schließlich erreichten wir durch ein zweites Tor die eigentliche Stadt. Beleuchtete
     Fenster machten einen erfreulichen Eindruck, Schwaden köstlicher Küchendämpfe wehten herüber. Die Stadt war voller Reservisten,
     die sich an den französischen Herbstmanövern beteiligten, und sie gingen hastig und trugen ihre prächtigen Mäntel. Es war
     ein schöner Abend, um drinnen beim Essen zu sitzen und den Regen ans Fenster trommeln zu hören.
    Der Kapitän der
Cigarette
und ich konnten uns gar nicht genug zu den Aussichten gratulieren, hatte man uns doch gesagt, es gäbe einen ausgezeichneten
     Gasthof in La Fère. Was für ein Abendessen wir verspeisen würden! In was fürBetten wir schlafen würden, während der Regen im ganzen mit Pappeln bewaldeten Landkreis auf die obdachlosen Gesellen niederprasselte!
     Uns lief das Wasser im Munde zusammen. Der Gasthof trug den Namen eines Waldtiers, Hirsch oder Reh oder Hirschkuh, genau weiß
     ich es nicht mehr. Doch ich werde nie vergessen, wie geräumig und überaus wohnlich er aussah, als wir uns näherten. Das Kutschentor
     war beleuchtet, und zwar vom Widerschein des reinen Überflusses an Feuer und Kerzenlicht im Haus. Das Klappern zahlloser Messer
     und Gabeln drang an unsere Ohren, wir sichteten ein weites Feld aus Tischdecken, die Küche glühte wie eine Schmiede und roch
     wie ein Garten aus essbaren Dingen.
    Hier, in diesen innersten Schrein, in das physiologische Herz eines Wirtshauses mit all seinen glühenden Bratöfen und seinen
     mit Lebensmitteln gefüllten Küchenschränken werden wir Ihrer Meinung nach gleich triumphalen Einzug halten – ein Paar durchnässte
     Lumpensammler, ein jeder mit einem schlaffen Kautschukbeutel am Arm. Ich glaube nicht, dass ich jene Küche in klarem Licht
     sah, ich sah sie durch eine Art Heiligenschein. Sie schien mir mit weißbemützten Köchen bevölkert, die sich von ihren Kochtöpfen
     abwandten und uns mit Erstaunen ansahen. Was die Wirtin betraf, gab es keinen Zweifel: Da war sie, an der Spitze ihrer Armee,
     eine rotgesichtige wütende Frau, die immer etwas zu tun hatte. Ich fragte sie höflich – zu höflich, meinte der Kapitän der
Cigarette
–, ob noch Betten frei seien. Sie musterte uns frostig von Kopf bis Fuß.
    »Sie finden Betten im Vorort«, bemerkte sie. »Wir haben zu viel zu tun, um uns um Ihresgleichen zu kümmern.«
    Ich wusste, wenn wir nur hereinkämen, unsere Kleider wechselten und eine Flasche Wein bestellten, dann könnten wir sicher
     alles richtigstellen, also sagte ich: »Wenn wir nicht übernachten können, könnten wir vielleicht zumindest zu Abend essen«
     – und wollte meine Tasche ablegen.
    Welch ein schrecklicher Wutanfall zeigte sich da im Gesicht der Wirtin! Sie fiel über uns her und stampfte mit dem Fuß.
    »Raus mit euch – raus, vor die Tür!«, kreischte sie. »
Sortez! Sortez! Sortez par la porte!
«
    Ich weiß nicht, wie es geschah, aber im nächsten Moment standen wir draußen im Regen und in der Dunkelheit, und ich fluchte
     vor dem Kutschentor

Weitere Kostenlose Bücher