Das Licht der Flüsse
so gut wie
alles, was mir von diesem Ort in Erinnerung blieb. Ich könnte in meinen Geschichtsbüchern nachschlagen, wenn Sie unbedingt
mehr wissen wollen, und Ihnen ein oder zwei Daten nennen, hatte er doch im Krieg gegen England eine große Bedeutung. Lieber
erwähne ich aber ein Mädcheninternat, das für uns von Interesse war, weil es sich um ein Mädcheninternat handelte und wir
uns einbildeten, dass uns dergleichen ziemlich interessierte. Immerhin – dort waren Mädchen in einem Garten, hier waren wir
auf dem Fluss, und es wurde, als wir vorüberfuhren,mehr als ein Taschentuch geschwenkt. Es verursachte einen ziemlichen Aufruhr in meinem Herzen, und doch – wie sehr hätten
diese Mädchen und ich uns gegenseitig gelangweilt und verachtet, wenn wir einander auf einer Krocketparty vorgestellt worden
wären! Aber diese Art liebe ich sehr: eine Kusshand zu werfen oder ein Taschentuch zu schwenken für Leute, die ich nie wiedersehen
werde, mit der Möglichkeit zu spielen und einen Haken einzuschlagen, um die Phantasie daran zu hängen. Es gibt dem Reisenden
einen Ruck, erinnert ihn daran, dass er nicht überall ein Reisender und seine Reise nicht mehr als eine Siesta am Wegesrand
des wahren Lebenslaufes ist.
Der Innenraum der Kirche von Creil war ein schwer zu beschreibender Ort, gesprenkelt mit grellen Lichtern, die durch die Fenster
fielen, und geziert von Medaillons des Leidenswegs. Doch da gab es eine Merkwürdigkeit in Gestalt einer Votivgabe, die mir
große Freude machte: Ein naturgetreues Modell einer Kanalfähre hing von der Kuppel, mit einer schriftlichen Fürbitte, Gott
möge die
Saint Nicolas
aus Creil in einen sicheren Hafen geleiten. Das Ding war hübsch gemacht und hätte einer Knabenschar am Flussufer großes Entzücken
bereitet. Doch das, was mich amüsierte, war der Ernst der Gefahr, die heraufbeschworen wurde. Man kann das Modell eines seetüchtigen
Schiffs aufhängen und begrüßen: eines, das die Wellen rund um den Globus pflügt und die Tropen oder die eisigen Pole anfährt,
auf Gefahren trifft, die eine Kerze und eine Messe wirklich verdienen. Aber die
Saint Nicolas
aus Creil würde gute zehn Jahre lang von geduldigen Zugpferden durch einen unkrautbewachsenen Kanal geschleppt werden, während
über ihr diePappeln schwatzten und der Skipper an der Ruderpinne ein Liedchen pfiff; würde all ihre Aufgaben an grünen Orten im Binnenland
erledigen und bei all ihren Kreuzfahrten nie den Kirchturm des Dorfes aus den Augen verlieren – falls man sich also etwas
vorstellen kann, das ohne göttlichen Beistand auskommt, dann das! Aber vielleicht war der Skipper ein Spaßvogel oder vielleicht
ein Prophet, der die Menschen durch diese absurde Gabe an den Ernst des Lebens erinnern wollte.
In Creil, genau wie in Noyon, schien der heilige Joseph dank seiner Pünktlichkeit ein beliebter Heiliger zu sein. Tag und
Stunde können benannt werden, und dankbare Leute versäumen nicht, sie auf einer Votivtafel festzuhalten, für die Gebete, die
pünktlich und ordentlich erhört worden sind. Wenn es um zeitliche Belange geht, ist der heilige Joseph der richtige Fürsprecher.
Mir bereitete es ein gewisses Vergnügen, seine Beliebtheit in Frankreich zu beobachten, denn in der Religion meiner Heimat
spielt der gute Mann nur eine unbedeutende Rolle. Doch konnte ich nicht umhin zu befürchten, dass man von ihm nicht nur große
Genauigkeit verlangte, sondern auch große Dankbarkeit für die Votivtafel von ihm erwartete.
Für uns Protestanten ist das Narretei und außerdem nicht besonders wichtig. Ob die Dankbarkeit der Leute für die guten Gaben,
die ihnen zuteil werden, klug durchdacht und gewissenhaft zum Ausdruck gebracht wird, ist letztlich zweitrangig, solange sie
nur wirklich empfunden wird. Wahre Einfältigkeit besteht darin, nicht zu wissen, dass man eine gute Gabe empfangen hat, oder
sich einzubilden beginnt, man habe sie sich selbst zu verdanken. Der Selfmademan istletztlich der lustigste Schaumschläger! Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen dem Erschaffen von Licht aus Finsternis
und dem Anzünden einer Gaslampe in einem städtischen Hinterzimmer mit einer Schachtel Patentstreichhölzer. Was immer wir auch
tun, uns wird stets etwas zu Händen gereicht, das nicht von uns selbst stammt, wenn es auch nur unsere Finger sind.
In der Kirche von Creil hing ein Plakat, das schlimmer war als Narretei. Die Gesellschaft des lebendigen Rosenkranzes
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