Das Licht der Flüsse
alberne Muskeln schafften das zwischen Schlaf und Wachsein, und inzwischen
nahm sich der Kopf einen Tag frei und schaltete ab. Mit einem Blick nahmen wir die größeren Marken der Landschaft wahr und
sahen mit halbem Auge Fischer in Hemdsärmeln und planschende Wäscherinnen am Ufer. Ab und zu wurden wir vielleicht von einem
Kirchturm, einem springenden Fisch oder einem Teppich aus Flussalgen, der von dem Paddel abgestreift und entfernt werden musste,
halb geweckt. Doch diese erleuchteten Intervalle waren nur teilweise erleuchtet. Ein Teil unseres Wesens musste zur Tat schreiten,
doch niemals das ganze. Das Zentralbüro der Nerven, das wir in einer gewissen Stimmung als Ich bezeichnen, genoss seinen Urlaub
ungestört wie ein Regierungsamt. Die großen Räder des Intellekts drehten sich müßig im Kopf wie Windmühlen, die kein Korn
mahlen. Ich habe eine halbe Stunde damit zugebracht, meine Ruderschläge zu zählen, und dabei Hunderte vergessen. Ich schmeichle
mir, dass nicht einmal sterbende Tiere diese niedrige Form von Bewusstsein unterbieten können. Und was für ein Vergnügen das
war! Was für eine herzliche, duldsame Stimmung das mit sich brachte! Da ist nichts Pedantisches mehr an einem Menschen, der
diesen Zustand erreichthat, diese einzig mögliche Apotheose im Leben, die Apotheose der Benommenheit; er beginnt sich würdevoll und langlebig wie
ein Baum zu fühlen.
Da gab es ein seltsames Stück angewandter Metaphysik, die das, was ich die Tiefe, wenn nicht sogar die Intensität meiner Geistesabwesenheit
nennen möchte, begleitete. Das, was Philosophen als Ich und Nicht-Ich,
ego
und
non ego
, bezeichnen, beschäftigte mich, ob ich wollte oder nicht. Es gab weniger Ich und mehr Nicht-Ich, als ich für gewöhnlich erwarten
würde. Ich beobachtete jemand anderen, der das Paddeln übernahm; ich spürte die Füße eines anderen gegen die Fußleiste drücken;
mein eigener Körper schien nicht mehr zu mir zu gehören als das Kanu oder der Fluss oder die Flussufer. Und damit nicht genug:
Etwas in meinem Verstand, ein Teil meines Hirns, eine Provinz meines wahren Wesens hatte die Gefolgschaft aufgekündigt und
war auf eigene Faust unterwegs oder vielleicht für jenen anderen, der das Paddeln übernommen hatte. Ich war zu einem ziemlich
kleinen Ding in einem Winkel meines Bewusstseins geworden. Ich war in meinem eigenen Schädel isoliert. Gedanken präsentierten
sich ungebeten, es waren nicht meine Gedanken, es waren eindeutig die eines anderen, ich betrachtete sie wie einen Teil der
Landschaft. Kurzum, ich vermute, dass ich dem Nirwana so nahe gekommen bin, wie es im wirklichen Leben nur möglich ist, und
wenn das der Fall war, dann möchte ich den Buddhisten aufrichtig gratulieren; es ist ein angenehmer Zustand, nicht ganz mit
geistiger Genialität vereinbar, nicht wirklich rentabel aus ökonomischer Perspektive, aber sehr friedvoll, golden und gelassen,
und er stellt einen Menschen über seine Ängste. Man kann es wohlam besten damit vergleichen, sturzbetrunken zu sein und gleichzeitig vollkommen nüchtern, so dass man in der Lage ist, es
zu genießen. Ich habe den Verdacht, dass Personen, die im Freien arbeiten, einen großen Teil ihrer Tage in dieser ekstatischen
Betäubung verbringen, was ihre große Gelassenheit und Duldsamkeit erklärt. Schade um das Geld für Laudanum, wenn es ein besseres
Paradies umsonst gibt!
Dieser Geisteszustand war der große Gewinn unserer Reise, wenn man sie als Ganzes betrachtet. Er war das entlegenste Ziel,
das wir erreichten. Tatsächlich liegt es so weit entfernt von den ausgetretenen Pfaden der Sprache, dass ich nicht erwarte,
die Sympathie des Lesers für die lächelnde, friedliche Idiotie meines Zustands zu gewinnen; als Ideen kamen und gingen wie
Stäubchen im Sonnenlicht; als Bäume und Kirchtürme von Zeit zu Zeit in meiner Wahrnehmung aufragten wie massive Gebilde in
einem vorbeiziehenden Wolkenland; als das rhythmische Planschen des Boots und des Paddels im Wasser ein Wiegenlied wurde,
das meine Gedanken einlullte; als ein Schlammspritzer an Deck mir manchmal ein unerträglicher Anblick und manchmal fast ein
Gefährte und das Objekt freundlicher Überlegungen war – die ganze Zeit über, während der Fluss dahinströmte und die Ufer sich
auf beiden Seiten wandelten, zählte ich unverdrossen meine Ruderschläge und vergaß dabei Hunderte und war das glücklichste
Geschöpf in ganz Frankreich.
Die Oise
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