Das Licht der Hajeps (German Edition)
hinein.
Und so fühlte sich Paul veranlasst zu sagen: „Was besser aussieht, muss noch lange nicht besser sein.“
„Diese Aufforstungen haben sich aber bereits als besser erwiesen!” konterte der freche Kerl. „Ich danke ‚Sotam-Sogi‘ und …”
Weiter kam er nicht.
„Schwätzer!” brüllte Paul. „Du bist die reinste Marionette, die …!“
Es war zu spät, dass Margrit Paul gemahnend beim Ärmel zupfen konnte.
Die vier jungen Kerle stürzten sich mit lautem, tierischem Gebrüll auf den verdutzten Hünen und obwohl er groß und stark war, packte ihn einer beim Kragen und schüttelte ihn so sehr, dass er ihn fast erwürgte. Auch die übrigen Passagiere waren wütend. Der Hass auf den Feind war unglaublich groß.
Margrit hatte ihren Platz verlassen, denn sie fürchtete, dass man einen unschuldigen Menschen lynchen könnte, denn viele trugen in dieser schlimmen Zeit Messer und auch andere Waffen bei sich, obwohl die eigentlich gegen Hajeps völlig sinnlos waren. Als die erste Klinge aufblitzte, war Margrit schon da.
„Halt!” kreischte sie, obwohl ihre Knie dabei bibberten wie Pudding. Ihre Stimme hatte so schrill und dermaßen schrecklich geklungen, dass für einen Moment Stille eingetreten war. Das dichte Knäuel aus zerlumpten, muffigen Leibern lockerte sich etwas. Nicht nur die vier jungen Burschen, sondern auch die anderen Passagiere schauten verdutzt auf die schmächtige, aber entschlossene Gestalt mitten unter ihnen.
„Ach, was reden wir nicht alle manchmal für einen Blech daher”, begann Margrit mit möglichst fester Stimme, „müssen wir uns deswegen gleich gegenseitig abstechen? Das hätten wohl die Hajeps gerne.”
Sie stemmte die Fäuste in ihre mageren Hüften.
„Viel zu viele sind schon durch Menschenhand gestorben! Wir sollten lieber überlegen, wie wir uns gegenseitig helfen könnten. Wir müssen durch diesen Tunnel der Finsternis hindurch! Ich weiß, das ist nicht leicht, aber wir sollten endlich begreifen, dass wir alle nur leben wollen!”
Es raschelte und das Messer verschwand. Das Menschenknäuel löste sich auf.
Auch Paul, verstaute wieder seine - von Margrit oft belächelte - Pistole, die er immer im Hosenbund, unter seiner weiten Jacke verborgen, trug.
Man schämte sich nun ein wenig und dachte an seine Schwester oder Bruder, an die Mutter und den Vater oder gar ein eigenes Kind, oder auch Freunde. Jeder hatte irgendjemanden verloren, den er sehr vermisste und schließlich begann man, darüber miteinander zu reden.
Das gleichmäßige Gemurmel bestätigte Margrit schließlich, dass sich der Gefühlssturm gelegt hatte. Es schien sogar ein wenig Sonne zwischen den düsteren Wolken zu scheinen! Es war das dankbare Leuchten in den schönen Augen des Hünen.
Wenig später hielt der Zug in Magdeburg. Menschenmassen drängten sich auf dem Bahnhof. Kaum, dass Margrit mit dem schlaftrunkenen Tobias an der einen und dem grauen, alten Koffer in der anderen Hand dem Zug entsteigen wollte, hatte sie auch schon Paul und Julchen in dem allgemeinen Gewirr aus den Augen verloren.
Was war geschehen? Wo sollte Margrit jetzt hin? Wo war Paul? Man sah zwischen all den vielen Leuten kaum Anhaltspunkte, nach denen man sich richten konnte.
Da, zwischen den beiden Säulen führten Treppen hinab.
Sie brauchte gar nicht viel zu überlegen, die Menschen trieben Margrit samt Tobias einfach dort hin. Hier war alles spärlich mit Petroleum-Lämpchen beleuchtet, an manchen Stellen sogar überhaupt nicht. Die Wände glänzten feucht. Abgeblätterter Putz zeigte die nackte Betonwand, herausgebrochene Teile ließen das Stahlgeflecht sehen. Spinnenweben hingen zuweilen tief von der Decke herab, wirkten so, als wären sie strähniges, staubiges Haar. Die Masse Mensch stampfte dumpf und dicht gedrängt die steinerne Treppe hinunter, um unter den Gleisen hindurch zum anderen Bahnsteig zu gelangen.
Tobias bekam vor Aufregung einen roten Kopf, als auch er mit seinen kurzen Beinchen die stillgelegte Rolltreppe neben den Stufen hinunter sollte. Er hatte Angst daneben zu treten, denn er sah bei diesem Gedränge so gut wie nichts!
Margrit achtete auf ihn und versuchte, hinüber auf den Bahnhof zu lugen. Gott sei Dank verbreiterte sich dort der Menschenstrom.
Unten angekommen war Tobias froh, endlich wieder ebene Erde unter den Füßen zu haben, doch Margrit nahm ihn trotz seines Protestes bei der Hand. Sie war in Sorge, dass er ihr verloren gehen könnte. Außerdem erschien es ihr so, als würde alles
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