Das Licht der Hajeps (German Edition)
auf der Flucht, hielt sich irgendwo fest, auch an der Hoffnung, ihnen doch noch entkommen zu können … den Hajeps!
Diese hatten die Einwohner Berlins aufgefordert, die Stadt zu verlassen, weil sie von ihnen besiedelt werden würde. Dazu hatten die Menschen eine Woche Zeit, danach würde die Stadt dem Erdboden gleichgemacht werden, um neue hajeptische Gebäude zu errichten. Die Leute durften für ihre Flucht die verbliebenen Verkehrsmittel benutzen, denn alles, was den Hajeps gefährlich werden konnte, hatten sie ohnehin schon zerstört. Die meisten Menschen glaubten dieser Warnung und verließen die Stadt, so auch Margrit mit ihrer Familie.
„Schon wieder ein Albtraum?“ fragte Paul leise. Margrit war mit ihm nun schon seit über sechs Jahren fest verbandelt. Die Kriegswirren hatten sie zusammengeführt und fest zusammen geschweißt. Das Paar konnte sich ein Leben ohne einander gar nicht mehr vorstellen.
In großer Sorge hatte er seinen Platz außen auf der gegenüberliegenden Bank verlassen. Es gab nur wenige der alten, mit Kunstleder überspannten Bänke in den einzelnen Abteilen. Paul hatte über Rucksäcke, Taschen und zusammengerollte Decken steigen müssen. Die Leute besaßen kaum etwas, was sie ihr eigen nennen konnten und hatten ihre gesamte Habe auf den Boden gelegt, da die Gepäcknetze zum Teil zerrissen waren.
Margrit nickte Paul stumm zu. Ein Kloß saß ihr immer noch im Hals. Sie schluckte, wischte sich die Tränen hinter ihrer dreckigen Brille weg und wagte ein kleines Lächeln.
„Wird schon noch!“ wisperte sie und zupfte sich den Kragen ihrer Jacke höher. Sie fröstelte.
Pauls wettergegerbtes Gesicht war faltig. Zwar war er erst achtundvierzig, aber die Strapazen des Krieges ließen ihn um einige Jahre älter erscheinen. Er schüttelte den Kopf. Die Worte seiner Lebensgefährtin trösteten ihn wenig.
„Du musst daran arbeiten, dieses Erlebnis endlich zu vergessen!“ meinte er besorgt. „Wir haben auf unserem Weg schon so viele zerfetzte Menschenleiber gesehen, da verkraften wir wohl auch noch diese, hm?“ Paul tätschelte ihr ein wenig unbeholfen die Wange. „Bleibe nur ganz ruhig und versuche einfach wieder zu schlafen, denn du weißt, welche Anstrengungen wir noch zu erwarten haben!”
„Und wenn ich nicht mehr schlafen kann?“ Margrits graublaue Augen im schmalen Gesicht wirkten unendlich müde.
„Du meine Güte, das musst du ganz einfach“, knurrte er, „wenn du vernünftig sein willst!“ Er manövrierte sich schwankend an den Gepäckstücken vorbei und ließ sich mit einem Seufzer wieder in die Bank fallen. Neben ihm saß ein hagerer Mann mit einer billigen Plastikbrille auf der spitzen Nase, der ängstlich seinen Rucksack auf dem Schoß behalten hatte. Obwohl die Mitreisenden gerne Pauls Platz eingenommen hätten, hatte es doch niemand von ihnen gewagt. Paul war zwar nicht sonderlich groß, aber recht kräftig gebaut.
„Wir werden Berge erklettern, Wälder durchstreifen, Äcker und Wiesen überqueren“, erklärte Paul weiter und es störte ihn nicht, dass man ihm dabei zuhören konnte. „Wie willst du das überstehen? Möchtest du dabei krank werden?“
„Will ich natürlich nicht!“ Margrit blickte durch das trübe Fenster, schob sich mit der freien Hand eine ihrer langen- schon ergrauten - Haarsträhnen aus dem Gesicht. In den Ohrläppchen blitzten je ein silberner Stern - der letzte und einzige Schmuck, den sie noch besaß. Eine trostlose Landschaft zog dort draußen vorbei. Seit Tagen hatte es nichts als geregnet und die Wiesen waren matschig. Das Dämmerlicht machte Margrit schon wieder ganz schläfrig.
„Na also!“ Paul schmunzelte erleichtert, als er sie mit kleinen Augen blinzeln sah. „Kuschele dich schön zurecht und penn!“
Da musste sie nun doch lachen. „Du bist gut, mit einem Kind auf dem Schoß und dem anderen am Arm, wie soll ich da großartig kuscheln?“
„Beschwere dich nicht“, schimpfte er unlustig. „Das ist alleine deine Angelegenheit! Du wolltest ja diese wildfremden Bälger unbedingt haben!“
„Bälger?“ wiederholte sie leise und wieder huschte ein Tränenschleier über ihre Augen.
„Ja, Margrit, ich habe dir von Anfang an gesagt, dass ich kein großartiger Kinderfreund bin.“ Paul rieb seinen struppigen Bart. „Darum hat es mich auch nie sonderlich gestört, dass du keine gebären konntest! Aber du, was machst du plötzlich? Entgegen unserer Abmachung nimmst du dich einfach dieser Geschwister an. Ich habe
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