Das Licht der Phantasie
Als die ersten Forschungsreisenden aus den warmen Regionen im Bereich des Runden Meers das kühle Hinterland erreichten, füllten sie die weißen Stellen auf ihren Karten auf folgende Weise: Sie schnappten sich den nächsten Einheimischen, deuteten auf irgendeinen Teil der Landschaft, sprachen laut und deutlich und schrieben die verwirrte (und manchmal auch ärgerliche) Antwort des Befragten nieder. Aus diesem Grund enthielten die Atlanten seit zahllosen Generationen eher seltsame geografische Angaben wie: Nur ein Berg, was soll’s? und natürlich, Finger weg, du Blödmann.
Regenwolken hingen über den kahlen Oolskunrahod-Höhen (Wer ist der Narr, der nicht weiß, was ein Berg ist?), und der Koffer machte es sich unter einem tropfnassen Baum bequem, der vergeblich versuchte, ein Gespräch mit ihm zu beginnen. Zweiblum und Rincewind stritten sich miteinander. Der winzige Mann, um den es dabei ging, hockte auf seinem Pilz und hörte fasziniert zu. Er sah wie jemand aus, der wie jemand roch, der in einem Pilz wohnte – und das beunruhigte den Touristen.
»Warum hat er denn keine rote Mütze?«
Rincewind zögerte und fragte sich mit wachsender Verzweiflung, worauf Zweiblum hinauswollte.
Schließlich gab er auf. »Was?« erwiderte er.
»Er müßte eigentlich eine rote Mütze tragen«, beharrte Zweiblum. »Und er sollte sauberer und, und… und fröhlicher sein. Gnome habe ich mir immer anders vorgestellt.«
»Was soll das heißen?«
»Nimm nur den Bart«, sagte Zweiblum ernst. »Ich habe Ziegen mit wesentlich längeren und hübscheren gesehen.«
»Meine Güte!« brummte Rincewind. »Er ist fünfzehn Zentimeter groß und wohnt in einem Pilz. Diese Beschreibung trifft haargenau auf Gnome zu.«
»Vielleicht will er sich damit nur tarnen.«
Rincewind beobachtete den Gnom aus zusammengekniffenen Augen.
»Entschuldige bitte«, sagte er, griff nach dem Arm des Touristen und führte ihn auf die andere Seite der Lichtung.
»Jetzt hör mir mal gut zu«, preßte Rincewind zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Wenn er fünf Meter groß wäre und behauptete, ein Riese zu sein – hieltest du ihn dann für einen Kobold?«
»Vielleicht für einen Kobold, der auf Stelzen steht«, erwiderte Zweiblum trotzig.
»Lieber Himmel«, ächzte Rincewind und sah zu der winzigen Gestalt zurück, die mit hingebungsvollem Eifer in der Nase bohrte. »Gnome, Riesen, Kobolde, Feen, Elfen, von mir aus auch Klabautermänner und Waldschrate – entscheide dich. Du hast die freie Wahl.«
Zweiblum schürzte die Lippen. »Elfen kommen nicht in Frage«, erwiderte er fest. »Sie tragen grüne Kleidung, haben spitze Ohren und kleine Antennen am Kopf. Ich kenne sie von Bildern.«
»Von welchen Bildern?«
Zweiblum zögerte und sah zu Boden. »Ich glaube, es hieß ›murmel, murmel, murmel‹.«
»Wie hieß was?«
Der winzige Mann schien sich plötzlich für seine Handrücken zu interessieren.
»Es hieß Elfengeschichten für die Kleinen «, sagte der Tourist kleinlaut.
Rincewind zwinkerte.
»Beschreibt es die Möglichkeiten, ihnen aus dem Weg zu gehen?« fragte er.
»O nein«, entgegnete Zweiblum eifrig. »Es schildert, wo man sie finden kann. Ich erinnere mich jetzt wieder an die Illustrationen.« Verträumt wanderte sein Blick in die Ferne, und Rincewind stöhnte innerlich. »Unter anderem war auch die Rede von einer Fee, die des Nachts kommt, um Zähne zu holen.«
»Braucht sie etwa ein neues Gebiß?« erkundigte sich Rincewind in einem… nun, bissigen Tonfall.
»Nein, nein, keineswegs. Du hast mich völlig falsch verstanden. Mit ihren Zähnen ist alles in Ordnung. Sie nimmt nur diejenigen von Kindern, als eine Art… Andenken. Ich weiß nicht genau. Wie dem auch sei. Wenn Jungen und Mädchen ihre Milchzähne verlieren, legen sie sie am Abend unters Kopfkissen. Dann kommt die Fee, holt sie und läßt irgendein kleines Geschenk zurück.«
»Warum?«
»Warum was?«
»Warum sammelt sie Zähne?«
»Keine Ahnung.«
Rincewind stellte sich ein sonderbares Wesen vor, das in einem ganz aus Zähnen bestehenden Schloß wohnte. Es war jene Art von gedanklichem Bild, das man am liebsten sofort wieder vergessen möchte – und von dem man sich einfach nicht befreien kann.
»Argh«, machte er und rollte mit den Augen.
Rote Mützen! Er überlegt, ob er dem Touristen erklären sollte, wie das alltägliche Leben eines Gnoms aussah: Frösche, die eine üppige Mahlzeit darstellten, das riesige Gewölbe eines Kaninchenbaus, das Schutz vor dem
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